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Kultur: Das Modell Frau

„Picasso et les femmes“ – eine sensationell umfangreiche Werkschau in Chemnitz

Das Thema ist so fernliegend wie, sagen wir: Mozart und die Musik. Oder Goethe und die Klassik. Oder einfach Gott und die Welt. Picasso und die Frauen, der Titel einer großangelegten Ausstellung in den Kunstsammlungen Chemnitz, greift nach dem ersten Klischee, das einem zum spanischen Jahrhundertmaler einfällt: der Macho, der Frauenheld, der kein Abenteuer auslässt und die Frauen dann in seinem Werk zunächst grotesk deformiert, im höheren Alter mit brutaler Deutlichkeit nur noch als Sexobjekt zeigt.

Doch, so sehr es auch erstaunt: Das Thema umfassend angegangen ist bislang kein Museum. Einzelaspekte, ja: Eine Ausstellung zu Dora Maar Ende 2001 in München, „Picasso erotique“ in Montreal und Barcelona, „Die Umarmung“ vor zwei Jahren in der Berliner Nationalgalerie. Aber alle Frauen zusammen, nein: Da musste erst eine ehrgeizige Museumsmacherin in Chemnitz mit viel Geduld, Enthusiasmus und guten Beratern kommen, um den großen Wurf zu wagen. Wie schon vor drei Jahren mit der Ausstellung zu Munch in Deutschland, wagt sich Chemnitz an die ganz großen Themen – und gewinnt.

36 Frauen hat Ingrid Mössinger, Direktorin der Staatlichen Kunstsammlung Chemnitz, gezählt: Nicht nur die großen Sieben, die Langzeit-Gefährtinnen Fernande Olivier, Eva Gouel, Olga Khokhlova, Marie-Thérèse Walter, Dora Maar, Françoise Gilot und Jacqueline Roque, sondern auch Wegbegleiterinnen wie Gertrude Stein, Angela Rosengart, Nusch Eluard oder Lee Miller sowie Kurzzeit-Affären wie Sara Murphy, die unbekannte Madeleine oder Sylvette David. Sogar eine Neuentdeckung kann Chemnitz feiern: Irène Regnault, Frau Nr. 36, konnte erst kurz vor Ausstellungsbeginn identifiziert werden: Sie war eine Freundin seiner Köchin.

Dass aber die Frauen nur Opfer von Picassos erotischen Obsessionen gewesen wären, weist Ingrid Mössinger weit von sich: „Picasso hat sich immer starke, selbständige Frauen gesucht, solche, die ihm ebenbürtige Partnerinnen waren.“ Jede von ihnen bekommt ihren Raum in den großzügigen Hallen der Chemnitzer Kunstsammlungen. Und nach dieser Ausstellung wird man sie nicht mehr verwechseln: die mütterliche Fernande, die am Anfang der kubistischen Experimente steht, die klassisch schöne Olga, deren Ehe mit Picasso so unglücklich endet, die sanfte, blonde Marie-Thérèse, Mutter seines ersten Kindes, die extrovertierte, exzentrische Fotografin Dora, die Picasso wie keine andere verzerrt, verfremdet hat, die Malerin Françoise, der es als einziger gelingt, von sich aus Picasso zu verlassen, und schließlich die 45 Jahre jüngere Jacqueline, Glück der späten Jahre, ewiges Modell, von der mehr Bilder entstanden sind als von allen anderen.

Trotzdem ist die Ausstellung kein Denkmal für die Frauen, sondern eines für Picasso: monumental, atemberaubend virtuos und ausgesprochen egozentrisch. Weit über das Anekdotische, Biographische hinaus feiert sie Picassos künstlerische Vielfalt, seine Gabe, intimste Emotionen bis in die Extreme hinein zu zeigen. Mag sein, dass die Frauen ihm Inspiration und Quelle der Schaffenskraft waren. Doch nur das, was dabei herausgekommen ist, rechtfertigt das Interesse.

Und so muss es, ungeachtet der eigenen künstlerischen Ambitionen von Dora Maar oder Françoise Gilot, zwangsläufig bei der historischen Ungerechtigkeit bleiben, dass diese Frauen einzig und allein deshalb für die Nachwelt interessant sind, weil Picasso sie gemalt hat. Der Platz im Olymp ist ihnen sicher – als Modell, nicht als Mensch.

Bleibt die Frage, wie es Chemnitz in Zeiten abnehmenden Leihverkehrs gelingen konnte, 215 durchweg hochrangige Picasso-Arbeiten zusammenzubekommen. Auch vor dem Hintergrund eines mit 15 000 Bildern immens reichen Oeuvres sind die in Chemnitz zusammengetragenen Werke eine Sensation. Leihgeber wie das Picasso Museum in Paris oder die Staatlichen Museen zu Berlin trennen sich nicht mehr so einfach von ihren Schätzen.

So etwas schafft man nur mit guten Kontakten – und einem begründeten Anliegen. Dass es ein verdienstvolles, ja wichtiges Unterfangen sei, gerade in Chemnitz, wo der Name Picasso vierzig Jahre lang nicht mehr bedeutete als der Maler von Friedenstaube und Guernica, in einem Crashkurs den Begründer der klassischen Moderne vorzustellen, leuchtete offenbar allen ein. Nur den Vertretern von Landes- und Bundesregierung nicht, die sich bei der Eröffnung am vergangenen Wochenende ausnahmslos vertreten oder entschuldigen ließen. Das hat die Ausstellung nicht verdient. Möge das Publikum klüger sein – und in Scharen kommen.

Picasso et les femmes, Kunstsammlungen Chemnitz, bis 19.Januar, 10 bis 20 Uhr.

Christina Tilmann

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