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Der US-amerikanische Musiker D'Angelo.

© Gregory Harris

Das neue Album von D'Angelo: Komm in meine Kirche

Meisterhaftes Comeback: R-’n’-B-Star D’Angelo veröffentlicht sein lang ersehntes drittes Album „Black Messiah“. Der US-Amerikaner will wieder in der Welt sein und Musik spielen.

Ein 15-Sekunden-Teaser. Das Standbild einer Menschenmenge. Schwarze mit erhobenen Händen und Fäusten, ein Bass rumort so tief, dass er aus der Hölle kommen könnte. Eine Ansprache des kontroversen „Nation of Islam“-Aktivisten Khalid Abdul Muhammad von 1994 über den wahren Jesus mit schwarzem Haar. Eine amerikanische Flagge, spiegelverkehrt, zwei Worte: Black Messiah.

Ein Tag später: Gerüchte, das neue Album von D’Angelo erscheine endlich – nach 14 Jahren. Eine Single, „Sugah Daddy“. Noch ein Tag später: eine Listening Session in New York. Und dann ist das Album tatsächlich da: D’Angelo ist zurück. Ein Wunder. Ja, tatsächlich: ein Wunder. Denn „Black Messiah“ (RCA/Sony) ist ein großes Album, ganz ohne Nostalgie-Bonus oder Wunschdenken. Und das, obwohl unmenschliche – überirdische – Erwartungen auf ihm liegen.

Questlove von den Roots, Praktizierer und Theoretisierer schwarzer Musik, hat diese Erwartungen einmal den „curse of the black genius“ genannt: schwarze Künstler, die etwas Epochales schaffen, unter Druck geraten, fallen und dann oft nicht wieder aufstehen. Richard Pryor, Lauryn Hill, David Chappelle, Ralph Ellison. Und D’Angelo, mit dem Questlove seit Beginn seiner Karriere zusammenarbeitet.

Mit nur zwei Alben und einer Tour erarbeitete sich der heute 40-Jährige in den Neunzigern den Ruf eines „R-’n’-B-Jesus“. Sein Debüt „Brown Sugar“ etablierte ihn 1995 als großes Talent, das Jahrhundertalbum „Voodoo“ von 2000 erzeugte Verehrung, die an Vergötterung grenzte. Scheinbar komplett nackt sang er im Video zu „Untitled“ über Sex und nichts anderes.

Das nannte man Neo-Soul – eine Musik, die moderne Zugänge zu alten Haltungen und Sounds suchte. Die Kernkünstler des Genres waren damals als „Soulquarians“ organisiert. Ein gemeinsames Album haben sie nie zustande bekommen, aber immerhin ein Gruppenbild, bei dessen Betrachtung man leicht melancholisch werden kann. Denn die Reihen sind ausgedünnt: Mos Def und Common haben sich in Experimenten verloren, Erykah Badu hat seit vier Jahren kein Album mehr gemacht. Die Roots geben die Jam-Clowns für Jimmy Fallon. J Dilla ist gestorben.

Es geht um Liebe, Hoffnung und Erlösung in der tiefen Nacht

Und über allem stehen D’Angelo und die Lücke, die er hinterlassen hat. 2001 verschwindet er, wird fett, nimmt Drogen. Nach selbstzerstörerischen Jahren wagt er sich seit 2012 wieder in die Öffentlichkeit, gibt Konzerte – seine Stimme ist in gutem Zustand – und beteuert, dass es ein neues Album geben wird.

„Black Messiah“ ist sein freiestes Werk bisher. D’Angelo hat einen Sound im Kopf – einen Raum, eine Kammer fast. Musikalisches Feng Shui. Instinktiv verteilt er Bass, Bläser und Drums im Raum. Sein Geheimnis sind die Pausen, die Stille, die Leerstellen. Auf „Voodoo“ war es ein Schlafzimmer, auf „Black Messiah“ ist es eine Betstube. Erst ging es um Sex, jetzt geht es um Liebe, Hoffnung, Erlösung in der tiefen Nacht.

„As the day must have its sun/ And the night must have its moon/ Sure as both must rise and fall/ I’ll be there to see you through“, bekräftigt D’Angelo in „Betray My Heart“ – es ist sehr nah dran an „As“, dem Herzstück von Stevie Wonders „Songs in the Key of Life“. Von Soulmusik scheint D’Angelo nicht nur das Schreiben von Liebessongs, sondern auch das Lieben selbst gelernt zu haben.

Immer wieder ist ein helles, hoffnungsvolles Piano zu hören, wie man es aus den Sechzigern von Ramsey Lewis kennt: ein Gospel-Piano. „Church music, meaning soul church music – not Bach chorals, that’s different“ hat Cannonball Adderley mal halb ironisch eins seiner Stücke genannt – und 1972 veröffentlichte er ein Album namens „The Black Messiah“.

Man kann in solchen Bezügen ertrinken, doch das Album ist kein Black-Music-Bingo, sondern eine Geisterbeschwörung. D’Angelo spricht mit seinen Helden, seinen Freunden, seinen Feinden, seinem früheren Ich. Sie sind alle irgendwie nicht mehr da.

D'Angelo reagiert auf die aktuellen Rassismusfälle in den USA

Der US-amerikanische Musiker D'Angelo.
Der US-amerikanische Musiker D'Angelo.

© Gregory Harris

Vor allem das Phantom von Sly Stone spukt durch das Album. Stone war 1970 in einer ähnlichen Situation wie D'Angelo. Nach “Stand!” und einem Auftritt bei Woodstock wurden Sly & The Family Stone zum Symbol für schwarz-weiße Harmonie, das mit positivem Soul-Rock das gelobte Land erspielen sollte. Dann verlor sich Sly Stone in Drogen, wurde paranoid, entließ Band-Mitglieder, verschanzte sich in einem Studio mit Waffen und Bergen von Kokain.

Das entstehende Album hieß „There's A Riot Goin' On“ und ist ein Solitär der Musikgeschichte, bei dem politische und gesellschaftliche Zusammenbrüche – das Ende der Sechziger, die Niederschlagung der Black Power Movement – mit einer schweren persönlichen Krise verwoben wurden. Immer wieder überspielte Sly Stone die Bänder, das Resultat ist ein unheimlich verwaschenes Album, bei dem die Beichten, Wehklagen und Anflehungen unter Matsch und tödlichen Grooves vergraben sind.
Auch D'Angelo versteckt seine Worte hinter der Musik – das Künstlerkollektiv Afropunk musste seine lyrics erst mühsam entschlüsseln, um sie in das von ihnen gestaltete Booklet zu packen. Doch unter Kopfhörern und mit dem Finger auf der Rewind-Taste merkt man, warum die Ereignisse in Ferguson und New York, Michael Brown und Eric Garner, die hastige Veröffentlichung der Platte befördert haben . „All we wanted was a chance to talk/ ’Stead we only got outlined in chalk“, fasst D’Angelo die Zustände auf dem an Prince erinnernden Song „The Charade“ zusammen: Schwarze Stimmen, die nicht nur metaphorisch zum Schweigen gebracht werden, sondern mit Knüppeln und Würgegriffen.

„Black Messiah“ ist ein Gospelalbum, inklusive "Prayer"

Dabei kommt D’Angelo - im Gegensatz zum mehrfach wegen Missbrauchs und Vergewaltigung angezeigten R. Kelly beispielsweise - nicht in Versuchung, sich selbst zum Opfer oder Propheten zu stilisieren. Er ist vielleicht der R-’n’-B-Jesus, aber der „Black Messiah“ können nur alle zusammen sein, sagt er. Trotz Zweifel und Resignation – „used to get real high/ now I’m just getting a buzz“ – ist die Stoßrichtung des Album ein vorsichtiges Herantasten an ein Wir-Gefühl.

Es ist vielleicht das erste große Black-Music-Album der letzten Zeit, bei dem Kanye West keine Rolle spielt. Spätestens seit „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ (2010) war das eigentlich undenkbar, so sehr hat West das Bild des „Black Genius“ für das 21. Jahrhundert definiert: Jemand, für den Radikalität vor allem heißt, in seiner Kunst die Möglichkeit von zwischenmenschlichen Bindungen konsequent zu verneinen. Eine Haltung, die sich, verwässert oder weiß gewaschen, auch bei den Musikern findet, die als Nachfolger von D’Angelo gehandelt wurden, wie James Blake oder Frank Ocean.

„Black Messiah“ hingegen ist ein Gospelalbum, samt „Prayer“ und immer wieder neu geschriebener Sünde-Läuterung-Sünde-Geschichte. Doch D’Angelo wartet nicht auf die Jüngsten Tag, und sein Album ist auch kein letztes Hurra. Er will wieder in der Welt sein und Musik spielen.

Kein Grund also, um zynisch zu werden und von "ausgebrannten Künstlern" zu reden, die nichts vernünftiges mehr hinbekommen. Denn jederzeit ist die Pforte offen, durch die ein solches Comeback treten kann.

Fabian Wolff

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