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Kultur: Das neue Berlin im Blick

Die Feierstunde zur Amtseinführung des neuen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz beginnt mit einem scharfen Rüffel.Kaum ist der letzte Ton des Kopfsatzes von Mendelssohn Bartholdys a-Moll- Streichquartett verklungen, ergreift der Kulturstaatsminister das Wort: "Vorweg eine dringende Bitte: Ab sofort keine Blitzlichter mehr auf Musiker bei der Arbeit", empört sich Naumann.

Die Feierstunde zur Amtseinführung des neuen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz beginnt mit einem scharfen Rüffel.Kaum ist der letzte Ton des Kopfsatzes von Mendelssohn Bartholdys a-Moll- Streichquartett verklungen, ergreift der Kulturstaatsminister das Wort: "Vorweg eine dringende Bitte: Ab sofort keine Blitzlichter mehr auf Musiker bei der Arbeit", empört sich Naumann."Das muß aufhören." Womit der unharmonische Teil der Veranstaltung zur Begrüßung von Klaus-Dieter Lehmann, dem nach langem Ringen bestellten Nachfolger Werner Knopps, beschrieben wäre.

Ansonsten, vor allem Symbolik.Der Ort, trefflich gewählt: das Neue Museum, Mythologischer Saal.Eine hoffnungsvolle, eine aufstrebende Ruine, brüchiges Mauerwerk, abblätternde Deckenfresken, blankgeputzte Baugerüste, nagelneue Sicherungs-Kästen.Die erste Reihe: der Stiftungspräsident, zu seiner Rechten Berlin: der Regierende Bürgermeister (grüner Schal!), der Kultursenator.Zur linken der Bund: der Parlamentspräsident, der Kulturstaatsminister, der Bundestagskulturausschuß und - ganz links - der Haushaltsausschuß.Dahinter, weit gestreut im Honoratiorenballungsraum: das Volk, tout Berlin, vorwiegend Kultur, vor allem (ehemals) West.(Uni-)Präsidenten, Staatssekretäre, Intendanten, Mäzene, Abgeordnete, Vorgänger, Kandidaten.Der Bundespräsident ist verhindert.Eine Erkältung.Sein Vorgänger wird herzlich begrüßt.

Der Staatsminister, auch Stiftungsratspräsident, beschwört die Perspektiven.Diejenigen der Stiftung ("Die Chance, auf die Hauptstadt Berlin zu wirken und ihre Physiognomie entschieden zu prägen"), die des Präsidenten ("Geduld und Gelassenheit"), diejenige Berlins ("als Hauptstadt für die Stiftung ein anderes Spielfeld als das geteilte Berlin vor 1989").Naumann erneuert das Versprechen seiner Regierung, die Hauptstadtkulturmittel schon 1999 zu verdoppeln.Den ersten hundert Regierungstagen geschuldet, folgt die Einschränkung: vorausgesetzt der Bundestag stimmt zu.Auf alle Fälle: das Bekenntnis zur Stiftung und ihrem Präsidenten, dem "richtigen Mann zum richtigen Zeitpunkt auf dem richtigen Platz".

Eberhard Diepgen greift den Ball auf, in der Tonlage hin und her geworfen zwischen wohlmeinendem Eifer und Belehrung."Wir haben genau zugehört", spricht er Naumann mit Blick auf die Finanzen direkt an, um Lehmann, dem Bibliotheksmann, dann zu erläutern, daß für den neuen Posten "eine gewissen Liebe zum Buch" notwendig sei.Der Regierende Bürgermeister erinnert den neuen Präsidenten dann sympathisch-spitz an seine programmatischen Versprechungen zu Aus- und Aufbau der Museumsinsel, der Staatsbibliotheken und der Stiftungsneuordnung.

Der Angesprochene nimmt die Gelegenheit der Antrittsrede wahr, seine Museums- und Bibliotheksphilosophie zu erläutern, jene spannende Mischung aus seriösem, marktwirtschaftlich ausgerichtetem Infotainment und bedingunslosem hochkulturellem Qualitätsanspruch; eine Strategie, die, so ist auch an diesem Vormittag zu spüren, eine hohes Maß an Neugier und Erwartung freisetzt.Präzise, ohne Ausschweifungen, den symbolischen Ort im Blick, zunächst eine kurze Verbeugung vor der Geschichte der Stiftung.Dann die Zukunft: "Museen und Bibliotheken sind Publikumseinrichtungen.Sie werden nicht in erster Linie für Kunsthistoriker und Wissenschaftler, sondern für die Öffentlichkeit konzipiert." Das Museum als kultureller Ereignisraum.Aber es folgt sogleich die Warnung, "in einer Zeit der organisierten Gleichzeitigkeit" die Beschäftigung mit der kulturellen Überlieferung nicht "auf spektakuläre Einzelereignisse mit Unterhaltungswert" zu reduzieren.Sein Leitsatz, in viele Richtungen interpretierbar: "Es gibt auch eine Ökonomie der Kultur."

Einige haben ihn, der in seinem früheren Amt als Direktor der Deutschen Bibliothek die von ihm geführten Geist-Häuser europaweit vernetzte, einen Technokraten genannt, nicht immer im positiven Sinne.Ihnen widmet Lehmann einige dezidierte Sätze: "Manche sehen in der Entwicklung der globalen Informationsnetze und Computer die Gefahr der zunehmenden Entfremdung zu realen Orten wie Museen oder Bibliotheken.Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall." Informationstechniken seien durchaus geeignet, ein intellektuelles Rahmenwerk zu schaffen und "mit Kunst und Wissen Menschen zu erreichen".Da hat das alte Berlin im Neuen Museum interessiert zugehört und artig Beifall gespendet.Und das neue Berlin darf sich auf manche anregende Kontroverse freuen.

MORITZ MÜLLER-WIRTH

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