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Tugan Sokhiev dirigiert sein Orchestre National du Capitole de Toulouse auf einer Tournee.

© Patrice Nin

Das Orchestre du Capitole de Toulouse: Tugan Sokhievs erste große Liebe

Beim Gastspiel in der Philharmonie präsentiert Tugan Sokhiev das Orchestre du Capitole de Toulouse, dessen Chef er seit 2008 ist. Zum Star des Abends aber wird die junge Pianistin Olga Scheps

Als Visitenkarte haben sie Hector Berlioz „Le Corsaire“-Ouvertüre mitgebracht: Der rhythmisch äußerst heikle Beginn des Stücks gelingt mit höchster Präzision, danach beeindrucken vor allem die üppig besetzten Streicher mit dichtem, intensivem Klang. Tugan Sokhiev hat sein Orchestre National du Capitole de Toulouse nach Berlin geholt, um in der Philharmonie vorzuführen, was die französischen Musiker und er in den vergangenen sechs Jahren künstlerisch erreicht haben. 2008 bekam der blutjunge Dirigent in Toulouse seine erste große Chance, von Südwestfrankreich aus verbreitete sich dann sein Ruf. Seit 2012 ist Sokhiev auch künstlerischer Leiter des Deutschen Symphonie-Orchesters, im Januar 2014 wurde ihm zudem die Zukunft des von mancherlei Skandalen erschütterten Moskauer Bolschoi Theaters in die Hände gelegt. Weil in der russischen Hauptstadt jede Menge Arbeit auf ihn  wartet, hat sich Sokhiev entschlossen, seinen Berliner Vertrag im Sommer 2016 auslaufen zu lassen. Toulouse aber wird er wohl treu blieben.

Die Franzosen folgen ihm mit blindem Vertrauen, wenn er sie am Montag in Berlin durch Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ führt. Souverän und selbstbewusst wirkt er dabei, die expressive Körpersprache ergibt sich ganz organisch aus seiner Partiturexegese, aus der vollkommenen Verinnerlichung der musikalischen Strukturen. Was in der bestens besuchten Philharmonie zu hören ist, gefällt den Besuchern, die sich am Ende zwei schmissig dargebotene Tschaikowsky-Zugaben erklatschen. Und doch darf man nach diesem Gastspiel sagen: Mit dem Deutschen Symphonie-Orchester vermag Tugan Sokhiev raffiniertere Klangfarben zu erzeugen, atmosphärisch packendere Aufführungen.

Die Musiker aus Toulouse führen sehr korrekt aus, was der Dirigent fordert, das DSO aber wirkt im Vergleich agiler, offener, schlanker im Klang, aufmerksamer, wenn es darum geht, auch auf die Stimmen der anderen zu achten. Warum also wird Sokhiev trotzdem in Berlin aufhören? In Toulouse ist er der Platzhirsch, nicht nur einer von fünf berühmten Chefs wie in Berlin. In Toulouse hat er die Hausmacht, konnte er sogar eine Aufstockung der Planstellen beim Orchestre du Capitole durchsetzen.

Trost bringt dem – zugegebenermaßen verfrüht - melancholisch gestimmten Berliner Sokhiev-Fan eine junge Pianistin, die 1986 geborene Olga Scheps. Denn sie spielt Rachmaninoffs 2. Klavierkonzert so, wie man es sich besser kaum vorzustellen vermag: schwelgerisch, ohne je ins Süßliche abzugleiten, kraftvoll, ohne Donnern zu müssen. Und Tugan Sokhiev steht ihr dabei als Gentleman alter Schule zur Seite, ein Begleiter, der zwar bestimmt, wo es langgeht, es aber nie ab galanter Aufmerksamkeit der Dame gegenüber fehlen lässt.

Den durchaus zur Geschwätzigkeit neigenden Solopart gestaltet Olga Scheps klar und deutlich, um jede Note, jede noch so dekorative Verzierung bemüht, dabei allerdings so fein, scheinbar mühelos im Anschlag, dass sich der Blick in die endlosen Weiten der russischen Landschaft wie der russischen Seele zu öffnen scheint: Gefühle in Cinemascope, ein Klangrausch mit zartbitteren Untertönen.

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