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Kultur: Das Ornament des Berges

Die konzeptuelle Fotografie der Becher-Schüler nimmt in der gegenwärtigen Szene eine dominierende Rolle ein.Die Bildserien, die Bernd und Hilla Becher seit den sechziger Jahren zumeist von technischen Zweckbauten fertigen, zeigen eine Welt der kleinen Differenzen in einer alles überwölbenden Gleichförmigkeit.

Die konzeptuelle Fotografie der Becher-Schüler nimmt in der gegenwärtigen Szene eine dominierende Rolle ein.Die Bildserien, die Bernd und Hilla Becher seit den sechziger Jahren zumeist von technischen Zweckbauten fertigen, zeigen eine Welt der kleinen Differenzen in einer alles überwölbenden Gleichförmigkeit.Die Schüler, die sie an der Kunstakademie Düsseldorf ausgebildet haben und die nun, Mitte Vierzig, mit Ausstellungen allerorten präsent sind, haben den gleichförmigen Blick übernommen.

Innerhalb dieser zweiten Generation beansprucht Andreas Gursky derzeit die größte Aufmerksamkeit.Die Kunsthalle Düsseldorf zeigt eine ebenso nüchtern wie die Arbeiten selbst mit "Fotografien 1984 bis heute" überschriebene Werkschau, die mit 72 Farbaufnahmen die Hälfte von Gurskys Werk der "Nach-Becher-Zeit" umfaßt.

Der gebürtige Leipziger des Jahrgangs 1955 verzichtet sowohl in der Ausstellung als auch im begleitenden Katalogbuch bewußt auf eine chronologische, ja überhaupt auf jede gliedernde Anordnung.Die Gleichordnung der Motive und Entstehungsdaten soll die Unveränderlichkeit des Blicks, die jede einzelne Arbeit für sich behauptet, auch im ganzen unterstreichen.Ob Gursky mit seiner Plattenkamera im Innenraum einer amerikanischen Hotellobby, einer fernöstlichen Börse oder vor dem Panorama des heimatlichen Rheinufers Aufstellung nimmt, spielt keine Rolle.Gursky ist kein Tourist, schon gar kein Voyeur, sondern ein unerbittlicher Chronist des So-ist-es, vielmehr der Essenz dessen, was ein gewöhnliches Auge erblicken kann.

Anders als die neusachlichen Fotografen der zwanziger Jahre verbannt Gursky nicht das Zufällige aus seinen Motiven.Spaziergänger, abgestellte Fahrräder oder Kraftfahrzeuge sind ihm kein Greuel, wohl aber in eine Weise in die Ansichten inkorporiert, daß sie sich als integraler Bestandteil des Dargestellten, als Arabesken eines größeren Musters wiederfinden.Daß Gursky seinen auf bis zu viereinhalb Meter Breite vergrößerten Aufnahmen am Computer den letzten Schliff gibt, ist bekannt.Die Komposition als Ganzes geht indessen nicht in einem Computertrick auf.Der komponierende Blick Andreas Gurskys ist es, der frappiert.

Die Bilder kennen keine Tiefe.Jedes Detail ist gleichermaßen scharf.Das technische Vermögen der Großbildkamera unterstreicht die Differenz zwischen dem menschlichen Auge und dem Objektiv, das - wie sein Name schon andeutet - zu keiner subjektiven Einstellung fähig ist.Die unglaubliche Tiefenschärfe der Gurskyschen Aufnahmen eliminiert jede Unterscheidungsmöglichkeit durch Unschärfe von Vorder- oder Hintergrund.Der Blick wird total.Die abgebildete Szenerie wird dadurch zu einer Massierung von Nichtigkeiten.Wenn Gursky Menschen zeigt, werden sie zum bekannten "Ornament der Masse"; ob als Skiläufer vor verschneiten Bergen - einem nur scheinbar postkartenkitschigen Motiv - oder gar als austauschbare Rädchen in der Maschinerie eines Hongkonger Finanzzentrums.Menschlich wirkt einzig das Diptychon "Kairo", wo das von der Höhe aus erfaßte Verkehrschaos ein sympathisches Muster der Individualität zeichnet.Die (fast) menschenleeren Innenräume jedoch ebenso wie die mit Menschen überfüllten Pop-Arenen konstatieren mitleidlos die vollständige Entbehrlichkeit des Einzelnen.

Kulturkritik indessen ist die Absicht Gurskys nicht.Er nimmt, wie er selbst einmal formuliert hat, den Blick eines "außerplanetarischen Wesens" ein.Ihm geht es nicht um die Abbildung, gar um die "Wahrheit" einer vorfindlichen Realität, sondern um die Komposition eines Bildes, die er mit dem Handwerkszeug der Kamera ausführt.Daß ein überraschender Großteil der Bilder darüber hinaus mit ikonographischen Bezügen aufwartet, daß sich gar manche Aufnahmen als Allegorien im traditionellen Sinne lesen lassen, steht dazu nicht im Widerspruch.Auf jeden Fall lehren Gurskys Großformate, Fotografie heute nicht länger von der bloßen "Interessantheit" ihrer aufgefundenen Motive her, sondern als eigenständige Schöpfungen auf der technischen Höhe unserer Zeit zu beurteilen.

Düsseldorf, Kunsthalle, bis 18.Oktober.Katalog im Verlag Schirmer/Mosel, München 1998, Großformat, brosch.59 DM.

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