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Kultur: Das Phantom der Oma

53. Kurzfilmtage Oberhausen: Familienbilder und andere Experimente

Ein Museumssaal, die Wände weiß und kahl. Das Motiv auf dem Plakat der 53. Oberhausener Kurzfilmtage ist bezeichnend: Zweckfreiheit müsse herrschen, sagt Festivalleiter Lars Henrik Gass, und der britische Künstler Ian White fügt hinzu, man brauche zwischen Kino und Museum einen dritten Raum, für all die kurzen Formen namens Kunst-, Avantgarde- oder Undergroundfilm. Ian White kuratiert auch die Reihe zur Idee des dritten Raums, unter dem Titel „Kinomuseum“. Will heißen: Kurzfilm ist Kunst.

Dass das Kino mit seinen kommerziellen Auswertungsinteressen der Kunst keine Heimat bietet, ist bekannt. Filmemacher wie Alexander Kluge und Peter Schamoni forderten im Oberhausener Manifest von 1962, der Kurzfilm müsse „natürliches Experimentierfeld“ bleiben. Neu im Überlebenskampf der kleinen Spezies ist die Blickrichtung gen Museum und die Forderung, es möge sich dem Kurzfilm öffnen. So zeigte die Reihe Kinomuseum Emma Harts „Skin 3“, hergestellt aus der Haut der Künstlerin, die sie mit Tesarolle abgezogen und auf Rohfilm befestigt hat. Unbegrenzt viele Sichtungen wird der Hautfilm nicht überstehen, bei der Projektion schrammt er bereits bedenklich über die Spule. Taugt etwas als Kunstwerk, das sich selbst zerstört? In „A Short Video Of Tate“ stellt Emma Wolukau-Wanambwa den musealen Raum selbst infrage. Er ist nicht nur Elfenbeinturm, sondern birgt auch die Niederungen der Gesellschaft. Beim Besuch eines Kunstkurses in der Tate Modern stellte die Künstlerin fest, dass sie die einzige farbige Person ist, die nicht zum Personal gehört.

Auch im Wettbewerb von Oberhausen kehrte das Museumsmotiv wieder. Viele der 64 Filme im internationalen und der 27 Beiträge im deutschen Wettbewerb widmen sich dem Hort der Vergangenheit, betreiben Spurensuchen, haken ein in Lebensläufe, die fragmentiert worden sind.

Im deutschen Beitrag „Lost Property Hong Kong“ klaubt Bin Chuen Choi die Reste seiner Kindheit in Hongkong zusammen. Doch die Erinnerung ist trügerisch: Die Treppe vor seiner Grundschule hat er nur imaginiert, der alte Wohnblock ist nicht mehr zu erkennen, und als er am Hafen von Kowloon steht, wo er sich mit seinen Freunden fotografieren lassen wollte, ist keiner von ihnen da. Schöne neue globalisierte Welt. Mitunter ist der Verlust der Heimat auch Kriegsfolge: In „Summer of 85“ gräbt die Palästinenserin Rowan Al Faqih Steine auf einem leeren Feld aus, dreht sie um, häuft sie an. Hier stand einmal das Haus der geliebten Großmutter.

Überhaupt, die Großmutter. Zur mythischen Gestalt avanciert, ist sie Bollwerk gegen Lebensunbill. In Meghana Bisineers anrührend-charmanter Animation „A Journey across Grandmother“ wandert ein kleines Mädchen auf dem massigen Omakörper umher wie in einer prächtigen Landschaft; der japanische Beitrag „Halu“ ist eine Hommage an die Großmutter, die sich als Analphabetin eine eigene Schrift erfand. Sonst wird wenig geliebt in den Filmfamilien, und wenn doch, dann nicht gut: In Santanas Issars „Bare“ geht es um den Alkoholismus des Vaters, in Astrid Riegers „Mammal“ (der sich den Hauptpreis im Deutschen Wettbewerb mit zwei Beiträgen teilt) um eine Mutter, die ihren erwachsenen Sohn immer noch badet. Entkommen kann er erst, als ihn im Tagtraum eine junge Frau mit hungrigen Küssen empfängt. Geträumt wurde viel in Oberhausen: In Andreas Goldsteins lakonischem Film „Detektive“ nickt der Stasidichter über dem Bier ein und wird im Traum erschossen, und Sylvia Schedelbauer sinniert in „Ferne Intimität“ zu Wasserbildern über geträumte Grausamkeit.

Ein Problem vieler Filme: Es wird zu oft sinniert und laut auf dem Leben herumgedacht. Die Regisseure scheinen dem Wort mitunter mehr zu vertrauen als dem Bild, setzen über Gebühr auf Offkommentare oder Texttafeln, und das Bild, die Hauptsache, verkommt zum Beiwerk. Außerdem fällt es schwer, für die bisweilen sehr kleinteiligen Familienansichten das nötige Interesse aufzubringen. Statt dokumentarischer Nabelschau hätte man gern mehr Experimente gesehen.

Manche Filme machen es vor, wie „Trip“ von Calin Dan, der ein Gebäude zur Hauptfigur erklärt. Oder „Loan“, in dem Lina Theodorou die Brachen Griechenlands in Szene setzt; wunderbar das alte Hotel „Belveder“, mit flinkem Jazz unterlegt und die Schnitte zwischen den Sesseln im verwaisten Tanzsaal so schnell, dass sie gleichsam zu tanzen beginnen, um die Leere zu füllen.

Leerer Raum birgt auch Gefahr: von bloßen Referenzen an andere Filme, von alten Ideen in immer neuen Dauerloops. Dass es auch anders geht, bewies die Werkschau des israelischen Videokünstlers Guy Ben-Ner. In Boxershorts mit Palmenapplikation spielt er die RobinsonCrusoe-Geschichte auf einem Sandhaufen in der Küche nach. Immer wieder unterbricht ihn die Tochter; die Familienvater-Rolle konterkariert das Männlichkeitsideal. Etwas von diesem Spieltrieb hätte man auch anderen Filmen des Festivals gewünscht, das am Dienstag mit der Preisverleihung zu Ende ging. Der Große Preis der Stadt Oberhausen ging an Pavel Medvedevs russische Umweltdokumentation „On The Third Planet From The Sun“.

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