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Kultur: Das Provisorium schlägt zurück

Für alle Notfälle: Der Designmai feiert den Charme des Vorläufigen – und ulkt sich durch die Konsumkrise

Irgendwann sitzen sie alle. Vielleicht ist das der Grund, warum Designer so gerne Stühle entwerfen: ein Produkt, das jeder braucht. Da machen die Ausstellungen in den Edison-Höfen, der Zentrale des diesjährigen Designmai, keine Ausnahme. Wo man hinschaut, überall Sitzgelegenheiten. Die israelischen Gestalter, die hier mit einer eigenen Länderschau präsent sind, widmen dem Thema gar eine Sonderausstellung, wobei es bei der internen Konkurrenz zwei Sieger gibt. Ehud Ben Avi formte aus zwei elegant geschwungenen Holzbrettern den Sitz „Lotus“, der für Yoga- Übungen gedacht ist. Von seinem Kollegen Boaz Kedar stammt der Zweisitzer „Doonish“, ein schönes rotes Sofa, dessen Besonderheit darin besteht, dass man es erst mit dem Akt des Niedersetzens in ein Sitzmöbel verwandelt.

Doch die internationale Ausrichtung – neben den Israelis sind in den Edison-Höfen noch Italiener, Belgier und Niederländer vertreten – täuscht darüber hinweg, dass das Schwergewicht dieses Designfestivals eindeutig auf Produkten und Prototypen aus Deutschland liegt. Mit rund 100 Ausstellungen, Präsentationen und Workshops umfangreicher denn je, liefert diese dritte Ausgabe des Designmai mit dem Titel „Jung und deutsch“ ein getreues Abbild der aktuellen gesellschaftlichen Situation hierzulande. Und da, das muss leider konstatiert werden, gibt es im Moment nicht viel zu lachen.

Außer man betrachtet das Ganze von Vorneherein von seiner ironischen Seite. „Irony is over“, behaupteten noch vor wenigen Jahren die so genannten Pop-Literaten und legten die Stirn eindrucksvoll in Zornesfalten. Heute weiß man, dass das vor allem ein großer Irrtum war. Das verstärkte Aufkommen an röhrenden Hirschen an den verschiedenen Designmai-Orten signalisiert unmissverständlich: Ironie sieht zwar schlecht aus, kann aber helfen, wenn die Lage nicht so lustig ist. Rekordarbeitslosigkeit, Kapitalismuskritik, Besitzstandswahrung: Gut zu wissen, dass jemand mitdenkt. Wie zum Beispiel Winfried Baumann, der Erfinder des „Instant Housing“, der eine Schlafkabine von der Größe eines Aktenkoffers zum Hintersichherziehen gebaut hat, die bei drohender Wohnungslosigkeit zumindest ideellen Schutz bietet.

Möglicherweise hat die auffallende Anteilnahme am Schicksal der Gebeutelten auch damit zu tun, dass die Designer oft selber mit einem Bein in der Krise stehen. Fortschrittsglaube, allzeit gute Laune, Affirmation des Teuren und Schicken – damit ist es inzwischen definitiv vorbei. Und auch was den eigenen Status betrifft, machen sich die Wenigsten noch große Illusionen. „Die Verschlankung der Produktionsprozesse eines sich selbst generierenden und reproduzierenden Designers“, heißt es in dem Manifest „Der Layoutomat“ von Blotto Design, „ist Ausdruck eines Designdarwinismus. Wer überlebt, auf dem lastet die Zunahme arbeitsfreier Zeit – oder doch nur ein Mehr an unbezahlter Arbeitszeit?“

„Schöne neue Welten?“ Hinter diesem Designmai-Motto hätte noch vor einigen Jahren sicher kein so dickes Fragezeichen gestanden. Dazu passt, womit die Designer Christoph Held, Thomas Meyer und Ingo Strobel in einem der Ausstellungssatelliten in der Oranienstraße 24 aufwarten: mit einer Schau zum Thema „Provisorium“ – was so ziemlich dem genauen Gegenteil der landläufigen Vorstellung von Design entspricht. Handelt es sich doch um Notlösungen, die permanent werden: Da wird eine Klobrille mit einem Postpaket aufrecht gehalten oder ein Bürostuhl, der statt des fehlenden fünften Fußes eine Holzprothese hat, funktionstüchtig gemacht.

Auch sonst treibt die Wiederkehr der Ironie so manche Blüten, sei es direkt im Objekt, sei es bei den Fixpunkten und Vorbildern, auf die sich die Gestalter beziehen. In der Hauptausstellung des Designmai in den Edison-Höfen sind neben den etablierten Stars der Szene wie Konstantin Grcic oder Haltbar Murkudis (beide übrigens höchst erfolgreiche Immigranten-Kinder) auch Arbeiten der Designergruppe Dan Pearlman zu sehen. Deren Name klingt wie der eines Comic-Helden, und was die fünf Berliner praktizieren, ist denn auch recht heroisch: Design zum basisdemokratischen Nachbau daheim. Eine Nudelpackung als Lampe, ein Kaffeetisch im Tischkickerformat oder der Bierkasten mit einem Stück „Stadion“-Rasen als perfekter TV-Sitz für Fußballfans, die es eben nicht ins Stadion schaffen. Wer da nicht schmunzelt, hat wirklich einen schlechten Tag.

Andere lassen warme Erinnerungen aufkommen – an Zeiten, zu denen sie längst noch nicht geboren waren. Die Kölner Modedesignerin Eva Gronbach etwa hat „neue deutsche Polizeiuniformen“ entworfen, die einem unweigerlich ein Lächeln ins Gesicht treiben. Die Männerversion sieht aus wie die Trainingsanzüge von Sepp Herbergers Weltmeistermannschaft von 1954, kombiniert mit Strickpullis in Schwarz-Rot-Gold, während die weiblichen Uniformen an die Gründerjahre der Lufthansa mit ihren bezaubernden Stewardessen gemahnen. Ganz reizend auch der Aufdruck, den die Frauen als Polizistinnen auf ihrem Faltenrock vor sich her tragen: „Willkommen im deutschen Lande.“

Gut geklaut, ist halb gewonnen, das dachten sich wohl auch Markus Wolf und Markus Bader, als sie die berückend ästhetischen Musikboxen, die Dieter Rams damals für die Firma Braun aufs Millimeterpapier zeichnete, schamlos, aber mit mächtig Respekt in die Gegenwart transferierten. Digitale Technik im klassischen Ulmer Design, daran muss man sich gewöhnen. Doch dann wirkt das Resultat um so überzeugender. Schönheit siegt immer, speziell wenn sie so viel dreisten Charme mitbringt.

Künstler, so lautet ein verbreiteter Allgemeinplatz, seien sensible Seismographen für Trends und soziale Entwicklungen. Nun: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Beziehungsweise: Könnte es sein, dass Designer die besseren Künstler sind?

Ausstellungen bis 16. Mai in den Edison Höfen (Invalidenstr. 116–118, Mitte); Informationen unter www.designmai.de

Ulrich Clewing

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