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Kultur: Das reine Bild

Giorgio Morandi zählt zu den "schwierigen" Künstlern des Jahrhunderts.Das erscheint auf den ersten Blick paradox; zeigen seine Bilder doch leicht faßliche, jedem Betrachter geläufige Dinge.

Giorgio Morandi zählt zu den "schwierigen" Künstlern des Jahrhunderts.Das erscheint auf den ersten Blick paradox; zeigen seine Bilder doch leicht faßliche, jedem Betrachter geläufige Dinge.Morandi war, von allerersten Anfängen abgesehen, zeitlebens ein Maler von Stilleben; diese aber - durchaus nicht ungewöhnlich in der Kunst der Moderne - hat er in einer Weise reduziert auf ganz wenige Formen von Flaschen, Flacons, Kännchen und Pappboxen, daß sie gewissermaßen nur die Essenz des Stillebens darstellen, statt lebensvolle Arrangements zu sein, wie sie etwa die holländische Malerei so geschätzt hat.Morandi, der 1964 verstorbene Bologneser, wirkt in seinen Bildern derart potestantisch-spröde, daß man ihm jedwede Beziehung zu der barocken Schule seiner Heimatstadt absprechen wird.

Wiederum ein Paradox - denn andererseits zeigte sich Morandi als äußerst traditionsbewußt.Inmitten des vielfältigen Aufruhrs der modernen Kunst in den ersten Jahrzehnten des Säkulums ruht Morandi als ein Unzeitgemäßer ganz in der Malerei.1890 geboren, wird er nach 1918 mit der kurzlebigen, aber überaus einflußreichen Zeitschrift "Valori plastici" bekannt, die den Ausgangspunkt der italienischen Strömungen der Folgezeit markiert.

Anläßlich seiner Berliner Ausstellung von 1921 schrieb der Dichter Theodor Däubler im "Kunstblatt": "Ganz streng schöpft der Bologneser Giorgio Morandi: Er steht dadurch sowohl einem landläufigen klassischen Ideal als auch einer rigoros modernen Anschauungsart besonders nahe." Das ist erhellend genug; aber Däubler fährt noch fort: "Vorläufig bekommen wir von ihm fast nur Stilleben in allerfeinster Abtönung zu sehen." Mehr und anderes, so zeigt sich nun in der exquisiten Ausstellung "Der späte Morandi.Stilleben 1950 - 1964" in der Peggy-Guggenheim-Sammlung in Venedig, ist über das Lebenswerk des spröden Emilianers nicht zu sagen; es sei denn, man wolle betonen, daß das Spätwerk die Däublersche Charakterisierung nochmals steigere.Das Haus Guggenheim ist seit der Langzeit-Übernahme der Mailänder Sammlung Mattioli in der Lage, den 40 späten Arbeiten ein frühes Gemälde voranzustellen.Sofort springt ins Auge, daß Morandi zuletzt nur immer noch karger, noch reduzierter arbeitete.Es fällt aber noch etwas Entscheidendes auf: nämlich daß Morandi keine Stilleben mehr malt, jedenfalls im Sinne der Schilderung einer Darstellung von Objekten, sondern reine Malerei vorführt, die sich der Verkleidung als Stilleben bedient.

Morandi hatte innerhalb der Biennale von Venedig 1948 eine Einzelausstellung; zu einer Zeit, da man sich nach dem Faschismus wieder "gültiger Werte" versichern wollte.Morandi mit der unbeirrbaren Kontinuität seiner Arbeit erschien da als geeigneter Treuhänder.Später dann wandte sich die Fachkritik von ihm ab; er wurde als Altmeister bewundert, aber insgeheim als Zurückgebliebener abgetan.Die Vorherrschaft der abstrakten und gestischen Malerei verstellte den Blick.Jetzt, nach allen Moden und Modernismen, lassen sich die so unendlich bescheidenen Arrangements von Flaschen und Kartons als das lesen, was sie immer schon sein sollten: als Malerei, als Bearbeitungen ihrer dauernden Fragestellungen.Morandi arbeitete beinahe seriell.

So sind in Venedig sechs Variationen eines Arrangements mit zerknülltem Tuch aus dem Jahr 1952 zu sehen oder fünf Varianten mit quaderförmigen Objekten aus den Jahren 1955/56.Diese "Pappkartons" - die sie in Morandis Atelier tatsächlich waren - mutieren auf der Leinwand zu reinen Farbflächen.Die Raumillusion gibt Morandi immer mehr auf, der Pinselduktus wird spontaner.Schließlich malt er in seinen letzten Lebensjahren nur noch "Farbe", was bei ihm immer tonale Abstufungen in einer gedämpften Palette von Braun- und Grautönen und wenigen gebrochenen Farben bedeutet.Adorno hat Alban Berg als "Meister des kleinsten Übergangs" bezeichnet.Das ließe sich auch von Morandi sagen.Die Ausstellung in dem hinzugemieteten Anbau zum eigentlichen Guggenheim-Museum ist von einer geradezu monumentalen Stille.Sie zeigt, wozu Malerei imstande ist, die sich die Askese der Selbsterforschung auferlegt.

Venedig, Peggy Guggenheim Collection

bis 13.September.Katalog bei Mazzotta

italienisch oder englisch, 60 000 Lire.

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