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Kultur: Das Runde auf dem Eckigen

Wie füllt man den Schlossplatz, solange er leer ist? Drei Berliner und ihr Kampf für ein Labyrinth

Jetzt darf man ihn wirklich Ruine nennen. Scheibe für Scheibe ist dem Palast der Republik die bronzen schillernde Fassade vom Skelett geschält worden. In der Mitte ist er schon zusammengesunken wie eine Hüpfburg, der die Luft entweicht. Ostern 2007 werden alle Träume vom „Volkspalast“ unter märkischem Sand begraben sein, und es wird große Leere herrschen in Mitte. Der Bundestag möchte das alte Stadtschloss wieder aufgebaut sehen, nur will es bisher keiner bezahlen. Ein gutes Konzept für die Zwischennutzung muss her. Die könnte etwas länger dauern.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat dazu einen Wettbewerb ausgeschrieben. Der Schlossplatz soll „zum Verweilen einladen“, wünscht sie sich. Das tut er bisher wahrlich nicht. Vor der Abrissbaustelle lösen sich fast im Wochentakt Jahrmärkte und Volksfeste ab. Dahinter ist das Erdreich aufgerissen, um Kellerreste des Stadtschlosses offen zu legen. Eine Plakatwand mit Informationen zur Hohenzollern-Historie und zum Palast markiert den Weg zu einer Tribüne, von der aus der Abrissfirma applaudiert werden kann. Der Schlossplatz, jahrzehntelanger Brennpunkt ideologischer Grabenkämpfe, sieht aus wie ein Schlachtfeld am Morgen danach. Man glaubt fast die Schreie nach Sanitätern zu hören.

Tina Zickler will helfen. Sie hat pflanzliche Heilmittel dabei und 1,5 Kilometer Verbandszeug. Die Kommunikationswirtin hat gemeinsam mit den Architekten Xaver Egger und Jens Henningsen ein Konzept entwickelt, das sie „Labyrinth der fünf Sinne“ nennt. In kreisförmig angelegten Wegen soll der Besucher über die gesamte Fläche des Platzes zu einem Wasserbecken in der Mitte geführt werden. Die Idee brächte das Runde ins Eckige.

Wir treffen die Labyrinthvertreter bei Pommes und Brause an einer Imbissbude vor dem Bauzaun. Wo würden wir uns niederlassen, wenn es das Labyrinth schon gäbe? „Wir würden auf der Holzfläche liegen und in den Himmel gucken“, sagt Zickler. Dieses große Quadrat würde den Besucher beim Eintritt empfangen und es ihm freistellen, den dreißigminütigen Weg zur Mitte abzukürzen. Anders als in einem Irrgarten geht es in einem Labyrinth nicht ums Verirren, sondern ums Finden. Es hat keine Kreuzungen und keine Sackgassen, in ihm gibt es nur einen richtigen Weg. Die Büsche und Bäume, die auf den sieben Meter breiten Beeten Platz finden sollen, würden die Sicht auf die Umgebung frei lassen, so dass sich während des Rundgangs immer neue Blicke auf das Stadtpanorama ergäben. Verschiedenste Pflanzen, darunter botanische Entdeckungen Alexander von Humboldts, würden in fünf Zonen je einen Wahrnehmungssinn ansprechen.

In einem Gebäuderiegel längs der Allee Unter den Linden fände die Humboldt-Box Platz, Vorgeschmack auf die geplante Kunstschatzsammlung im Humboldt-Forum. Dessen Pate, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Klaus-Dieter Lehmann, ist von Zicklers Konzept angetan. Er sieht im Labyrinth eine „wunderschöne komplementäre Ergänzung“ zur Humboldt-Box.

Labyrinthe beschäftigen Tina Zickler seit zwei Jahren. Fasziniert von dem uralten Symbol, das sich in jeder Kultur findet, begann sie gemeinsam mit Jens Henningsen einen Labyrinthgarten zu planen, ohne zu wissen, wo sie ihn realisieren könnte. Als der Schlossplatz frei wurde, sagte sie sich: „Das passt perfekt.“ Seitdem wirbt sie mit aufwändig gestalteten Mappen und einer Website (www.labyrinthgarten-berlin.de) energisch für die Umsetzung.

Wer vom Schlossplatz spricht, kommt um große Worte offenbar nicht herum. So bedient sich auch Zickler hehrer Symbolik, wenn sie verspricht, mit dem Labyrinth „auf nationaler wie internationaler Ebene ein kraftvolles und positives Zeichen“ zu setzen. Ein Zeichen für was? Von einem „poetischen Ort der Freude und der Begegnung“ ist die Rede, von einem „philosophischen Ort der Selbstreflexion“, einem „Weg zur Mitte inmitten der Stadt“. „Das Labyrinth erinnert an unseren gemeinsamen Ursprung und unsere gemeinsame Zukunft“, schwärmt Zickler. „Jeder Garten ist doch die Suche nach dem verlorenen Paradies.“ Schön, schön. Doch welche Rolle spielt Berlin in dieser Vision, Stadt des Durch- und Nebeneinanders, in der man eine Stunde lang S-Bahn fahren kann ohne anzukommen? Ist Berlin nicht Labyrinth genug? Braucht es noch eins? Xaver Eggert überlegt kurz. „Nach diesem dann keins mehr, aber dieses schon.“

Die Chance, im Stadtzentrum Räume für Berlins kreative Kräfte zu bieten, die oft aus dem Chaos wachsen, ist mit dem Palast-Abriss verspielt. Nun also soll das Chaos durch eine strenge Form gebändigt werden. Der Zugang wäre nur über ein Tor von Unter den Linden aus möglich und so durch Eintrittsgelder kontrollierbar. Die Frage drängt sich auf, ob die Symbolik von Harmonie und Geschlossenheit wirklich passt zu diesem Ort mit seiner bewegten Geschichte, die noch lange nicht zu Ende ist. Eugen Blume, der als Leiter des Museums Hamburger Bahnhof die Labyrinth- Idee unterstützt, sieht nach den Volkspalast-Jahren „das Potenzial für Aktionismus ausgereizt“. Jetzt wäre es „gut, eine stille Form zu haben, die durch ihre Anwesenheit das Denken provoziert“.

Das Labyrinth könne ein „Pflaster auf die Wunde“ sein, so Zickler, „nein, besser: ein Kopfverband.“ Die Labyrinthvertreter möchten versöhnen. Das gelingt ihnen schon jetzt. Klaus-Dieter Lehmann kann sich als Schlossbefürworter ebenso für den Entwurf begeistern wie Ex-Kultursenatorin Adrienne Goehler, die sich gegen einen voreiligen Abriss des Palastes gewehrt hatte. Der klassizistische Rückgriff auf antike Ordnungsbilder scheint einem aktuellen Bedürfnis zu entsprechen. Und die veranschlagten, vergleichsweise bescheidenen sieben Millionen Euro Realisierungskosten tun auch keinem weh.

Die Zeichen stehen auf Besinnung. Auch die „taz“ hat einen Ideenwettbewerb für die Zwischennutzung ausgeschrieben. Der Siegerentwurf heißt „Dormanz“ und sieht vor, den ganzen Schlossplatz unter einer Faltendecke aus Epoxidharz schlafen zu legen. Vielleicht braucht der Ort wirklich eine Pause. Tina Zickler jedenfalls täte die Erholung im Labyrinthgarten sicher gut. Auf die Frage, was sie täte, wenn ihre Idee nicht umgesetzt würde, lautet ihre zackige Antwort: „Dann wandere ich aus.“

Kolja Reichert

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