zum Hauptinhalt

Kultur: Das scheue Ungeheuer

Die Galerie Parterre zeigt Papierarbeiten des Theatertiers Einar Schleef.

„Sie steht auf der Erde und fliegt auch ein bisschen“, sagt die wunderbare Schauspielerin Jutta Hoffmann über ihre Rolle der Eva in Bertold Brechts „Puntila“, 1996 inszeniert von Einar Schleef am Berliner Ensemble. Eine legendäre Inszenierung, an der sich – wie immer bei Schleef – die Geister schieden. Mehr erfährt man über Schleefs im zeitlichen Abstand immer stärker verklärtes Regie-Berserkertum in den Fernsehfilmen, die Alexander Kluge über den 2001 gestorbenen Künstler gedreht hat. Gezeigt in der Ausstellung „Einar Schleef. Kontainer Berlin. Zeichnungen“ in der kommunalen Galerie Parterre in Prenzlauer Berg, lohnen sie allein schon den Besuch.

Er steht fest auf der Erde und fliegt ein bisschen – das lässt sich genauso gut über Schleef als Zeichner sagen. 150 Zeichnungen hat Kathleen Krenzlin, Galerieleiterin und Kuratorin der Ausstellung, aus dem vieltausendblättrigen Bildernachlass im Hallenser Moritzburg-Museum ausgewählt. Schleef, der sich in etlichen Künsten – Malerei, Bühnenbild, Regie, Fotografie, Literatur – ausdrücken konnte und doch nirgends richtig dazugehörte, wollte eigentlich Maler werden. Studiert hat der aus der thüringischen Provinz Zugereiste an der Kunsthochschule Weißensee Mitte der Sechziger nur für ein halbes Jahr, dann wurde er exmatrikuliert, weil er einen Professor beleidigt hatte. Schleef hat danach unbeirrt weitergemacht, gewissermaßen im Status der Unschuld, der seinen besten Arbeiten eine unerwartete Leichtigkeit verleiht.

Geradezu zärtlich im Zugriff sind Skizzen von alten Säufern und mondänen Mädchen, die Schleef in der Kneipe „Langer Arm“ in Weißensee eingefangen hat. Oder die mal schlafenden, mal hellwachen Besucher eines Kirchenkonzerts. Was Schleef sonst noch aufs Papier brachte, ist – in Kenntnis der Biografie – oft alles andere als harmlos. Frühe Bleistiftblätter zeigen die Mutter Gertrud mit Kopftuch und Kittelschürze an der Nähmaschine. Dieselbe Gertrud, die ihrem Einar wenig Luft zum Atmen ließ, wie die Edition des Briefwechsels gezeigt hat. Schleef widmete ihr einen zweibändigen Roman.

In drastischen Männer- und Frauenakten sowie quälenden Selbstbildnissen umkreist Schleef nicht nur sexuelle Obsessionen und Selbsthass, sondern arbeitet sich auch an großen Vorbildern ab: Dix, Beckmann, Kirchner, Picasso. Aquariumsgrüne Ansichten der Berliner Mauer oder das nach der Flucht in den Westen virulente Motiv der Telefonzelle zeigen einen tief Vereinsamten, der nur als Provokateur kommunizieren kann. Davon erzählt auch das lesenswerte Arbeitsheft mit Texten von Weggefährten wie Florian Havemann, Lothar Trolle und Sibylle Wirsing sowie Schleefs Erzählung „Unruhe“.

„Tiger!!!“, kritzelte Schleef Ende der Sechziger auf eine Zeichnung, die vier Kaninchen zeigt. Das sitzt. Ein Papiertiger war dieses scheue Ungeheuer namens Einar jedenfalls nicht.

Galerie Parterre, Danziger Str. 101, bis 19. Januar 2014; Mi bis So 13–21 Uhr, Do 10–22 Uhr. Katalog (Verlag Theater der Zeit) 18 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false