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Kultur: Das schöne Leben

Wie der Romanautor und Drehbuch-Verfasser Imre Kertész sich seinen Film wünschte

Herr Kertész, wenn man Ihren „Roman eines Schicksallosen“ liest, denkt man, diesen Lebensbericht aus dem KZ kann man gar nicht verfilmen. Warum haben Sie sich dennoch darauf eingelassen?

Ich glaube, die Verfilmung des Romans war unvermeidlich. Ich weiß, es gibt viele Autoren, die ihre Romane nicht verfilmen lassen. Aber dann werden die eben nach deren Tod verfilmt. Da behalte ich lieber selbst die Kontrolle. Es gab schon zuvor verschiedene Versuche, ein Drehbuch daraus zu machen. Aber irgendwann habe ich eingesehen, wenn ich einen Text haben möchte, der noch etwas mit dem Roman zusammenhängt, dann muss ich das Drehbuch selbst schreiben. Auch wenn mir klar war, dass der Roman, seine besondere Sprache, nicht verfilmbar ist.

Was war denn das Problem bei den vorherigen Drehbüchern? Was wollten Sie anders machen?

Es ging vor allem um die zeitliche Struktur: Die Linearität, die das Buch auszeichnet, hat einen inhaltlichen Grund. Die Zeit gehört nicht dem Häftling, sondern denen, die über seine Zeit verfügen. Er ist nicht er selbst. Das ist für mich das Wichtigste an dem Buch. Aber diese Linearität führt dazu, dass der Film keine spektakuläre Struktur bekommt. Es gibt keine Höhepunkte, sondern nur den realen Verlauf. Die bisherigen Drehbücher hatten den Stoff zu sehr zu einem klassischen Hollywood-Film gemacht.

Der „Roman eines Schicksallosen“ ist ein philosophischer Roman. Diese Aspekte lässt der Film fast völlig weg.

Der philosophische Inhalt ist auch dort noch vorhanden. Aber die Philosophie des Romans lebt von der Sprache. Und diese Sprache kann man nicht verfilmen. Ich kann mir keine Szene vorstellen, in der die Sprache die Hauptrolle spielt. Deshalb fehlt im Film auch die Ironie des Buches. Der Film lebt von Gesichtern, Musik, Bildern. Und er übernimmt nur die oberste Schicht des Romans. Es geht um einen Verlust der Persönlichkeit, um eine Entpersonalisierung.

Wenn Sie beim Schreiben des Drehbuchs viele Aspekte des Romans weglassen mussten, war das für Sie sicher besonders schwierig. Was zeichnet das Drehbuch gegenüber dem Roman aus?

Beim Roman war ich viel strenger mit dem Stoff, dem Material. Ich habe unbarmherzig weggelassen, was nicht dazugehört. Beim Drehbuch war ich lockerer, habe viel mehr Anekdoten verwendet, die im Roman gar nicht vorkommen. Das Drehbuch ist dadurch viel erzählerischer, auch autobiografischer. Ich habe das Drehbuch, das immerhin 30 Jahre nach dem Roman entstanden ist, gewissermaßen in einem „Vor-dem-Roman“- Zustand geschrieben.

Wenn das Drehbuch autobiografischer ist als der Roman: Wie ist es dann mit dem fertigen Film? Wie „authentisch“ kann ein solcher Film überhaupt sein?

Schwieriges Thema. Uns war klar: Wir wollten keinen Holocaust-Film machen. Spätestens seit Claude Lanzmanns „Shoah“-Dokumentationen wissen wir, dass so etwas unmöglich ist. Aber es war unvermeidlich, dass wir KZ-Bilder zeigen. Ich finde, der Regisseur Lajos Koltai ist mit großer Disziplin mit diesen Bildern umgegangen. Natürlich: Etwas Brutalität gehört dazu. Aber es ging nicht darum, ständig die Gräuel zu zeigen, sondern nur so viel, wie zu der Geschichte gehört. Ich hatte auch ein Mitspracherecht und konnte die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Bilder authentisch sind. Am ersten Drehtag war ich dabei. Aber dann habe ich dem Regisseur einen Blankoscheck gegeben.

Dem Film ist bei seiner deutschen Erstaufführung während der jüngsten Berlinale vorgeworfen worden, dass er die Schrecken ästhetisiere. Denken Sie etwa an das Sonnenlicht, das die ausgemergelte Figur des Jungen umspielt, oder die Choreografie der Massenszenen.

Diese Schönheit ist für mich das Wichtigste! Auch im Roman gibt es Szenen, in denen die Sonne scheint, die Bäume ihr Laub wechseln. Das Leben im Lager ist noch grausamer, weil das Leben rundum so schön ist. La vita è bella.

Auch Roberto Benignis Film „La vita è bella“ erzählt eine KZ-Geschichte aus Sicht eines kleinen Jungen: als Groteske, als Kinderspiel.

Ich schätze Roberto Benignis Film sehr. Aber sein Film ist ein Märchen. Das ist typisch für die zweite Generation, die keine persönlichen Erfahrungen mit dem Holocaust hat, sondern nur die Erzählung der Eltern kennt – vielleicht ist es für sie noch schwieriger, mit dem Thema umzugehen. Ich wollte kein Märchen erzählen, keine Parabel. Ich darf konkret sein, denn ich bin durch all diese Erlebnisse gegangen. Und kann davon reden.

Wenn Sie dramatische Effekte für den Film ablehnen – wie stehen Sie denn zu Ennio Morricones hoch dramatischer, ja womöglich unzulässig kitschiger Filmmusik?

Ich weiß, dass man in Deutschland große Probleme mit dieser Musik hat. Am Anfang war auch Musik von Ligeti im Gespräch, aber das wollte der Regisseur nicht. Ich finde Morricones Musik gar nicht kitschig. In den Momenten, in denen diese „kitschige“, ich würde lieber sagen, himmlische Musik einsetzt, kommen zwei Dinge zum Ausdruck. Einerseits sehen wir die Szenen selbst, und die sind schrecklich. Andererseits ist die Musik wie eine Art Requiem. So sind in einem Bild die Ereignisse und eine Haltung dazu, nämlich die Trauer der Nachwelt, vereint. Das finde ich sehr schön.

Interview: Christina Tilmann

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