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Kultur: Das schwarze Verlangen

Frankreich muss Abschied nehmen von zwei Ikonen: Der Rockstar Bertrand Cantat soll seine Freundin, die Schauspielerin Marie Trintignant, erschlagen haben

Frankreich trauert. Nicht das offizielle Frankreich, das Staatskarossen- und Trikoloren-Frankreich, sondern die Millionen, die das Kino und die Rockmusik lieben. Marie Trintignant, die 41-jährige Film- und Theaterschauspielerin, ist gestern Mittag in Paris gestorben, eingeflogen aus Litauen – nach fünf Tagen im Koma, in das sie nach einem gewalttätigen Streit mit ihrem Lebensgefährten in einem Hotel in Vilnius gefallen war. Und weil dieser Lebensgefährte, an dessen Schlägen sie offenbar starb, Bertrand Cantat ist, der überaus populäre Gründer und Sänger der Rockband Noir Désir, ist nun wohl auch die wegen ihres poetisch-widerständigen Geistes von vielen jungen Franzosen geradezu vergötterte Gruppe am Ende. „Noir désir“ heißt „schwarzes Verlangen“. Ja, das Verlangen – jenes rätselhaft-melancholische, mit dem Marie Trintignant ihre Rollen verzauberte, und jenes kämpferische, mit dem Noir Désir für eine andere, bessere Welt kämpfte – trägt Schwarz.

Was genau geschehen ist in der Nacht zum vergangenen Sonntag im Luxushotel Domina Plaza im litauischen Vilnius, wo Trintignants Mutter Nadine für das französische Fernsehen den Zweiteiler „Colette“ drehte mit ihrer Tochter in der Hauptrolle der Schriftstellerinnen-Ikone, man weiß es noch nicht. Bei seiner ersten Aussage am Donnerstag beschwor Cantat, der in der Tatnacht so heftig unter Medikamenten- und Alkoholeinfluss gestanden hatte, dass er tagelang selber nicht vernehmungsfähig war, einen Unfall, nach einem Kampf zwischen den beiden, „ein Wahnsinn, kein Verbrechen“ – so konnte man es gestern in „Libération“ nachlesen, die dem Ereignis ihre Titelseiten widmete. Nadine Trintignant hält dagegen, die Verletzungen in Maries Gesicht seien so stark, dass ein Unfall ausgeschlossen werden könne, und im Übrigen sei Cantat ein Typ, dem man „früher hätte helfen müssen“.

Juristische, kriminologische, psychologische Fragen um den Kern eines Entsetzens – darüber, dass diese Tat überhaupt möglich war. Das Leben des Paares, das sich erst vor einem halben Jahr gefunden hatte, galt als harmonisch und auch der Rocksänger keineswegs als so ruppig, wie es das Klischee verlangt. Ein großer, schlaksiger, sensibler, ja zarter Typ – so beschreiben ihn Leute, die ihn kennen. Doch was zählt dies nun, da Marie Trintignant auch durch zwei Notoperationen nicht gerettet werden konnte und da den Verursacher des Dramas, der einstweilen in Vilnius in Untersuchungshaft sitzt, eine schwere Gefängnisstrafe erwartet?

Es ist etwas geschehen, was man aus lauter Ratlosigkeit eine Tragödie nennt. Die mediale Wirkung in Frankreich muss man sich, auf unsere Verhältnisse übertragen, etwa so vorstellen, als hätte ein Rockstar vom Format eines Campino seine Lebensgefährtin getötet – und diese Frau wäre auch noch eine prominente Künstlerin gewesen. Es ist eine Tragödie für die Generation der knapp Zwanzig- bis Mitte Dreißigjährigen, die dieses Paar mit Sympathie und Identifikationsbedürfnis betrachtete, zwei sehr französische Ikonen der Sanftheit, Melancholie und Sensibilität. Es ist eine Tragödie für das Kino, das eine seiner geheimnisvollsten Heroinnen früh verliert, eine Tragödie auch für die Zukunft von Noir Désir.

Zwei von uns, die sich nicht auf den Begriff bringen ließen, und nun ist alles auf den schwärzestmöglichen Begriff gebracht: So ungefähr spiegelt sich das kollektive Spontan-Entsetzen in den Website-Foren der Fans wider. Von Schuldzuweisungen ist die Rede, natürlich, mehr aber noch von Katastrophe und Verlust. Da sprechen Angehörige im ideellen Sinne, und sie tragen eine Hoffnung auf Wärme zu Grabe.

Vor allem aber ist es eine Tragödie für die Familie Trintignant – für Maries vier Söhne, für ihre Mutter Nadine, die ein halbes Dutzend Filme mit der Tochter selbst inszeniert hat, und für den Vater, den weltberühmten Schauspieler Jean-Louis Trintignant. Mit der Familie auch hat Marie als Kind die ersten Schauspielerinnenschritte geübt, in Filmen der Mutter und an der Seite des Vaters – etwa in „Mon amour, mon amour“ (1967) und „Défense de savoir“ (1973). Mit 17 bekam sie als junges Mädchen mit langen dunklen Haaren, wunderbar expressiver Stimme, großen Augen und großem Mund eine erste Rolle in Alain Corneaus „Série noire“, bevor sie unter anderem von Ettore Scola („La Terrazza“, 1979) und Claude Chabrol („Une affaire de femmes“, 1988) besetzt wurde. Chabrol auch verschaffte ihr, in „Betty“ (1991), den größten Auftritt ihrer über 30 Kinofilme umfassenden Karriere. Darin war sie, nach einer Romanvorlage von Georges Simenon, eine auf großbürgerlich leise Art abservierte fremdgängerische Ehefrau, alkoholsüchtig und fügsam, die nach dem Verstoß aus den feinen Kreisen die Balance verliert. Nie wieder war sie so unheimlich und unwiderstehlich zugleich: eine Sphinx, oszillierend zwischen Launenhaftigkeit und Depression. Eine Erscheinung im doppelten Sinn: irritierend irrlichternd – und eine Schauspielerin, die mit ihrem Erscheinen auf der Leinwand einem Film erst seine unverwechselbare Farbe gab.

In den deutschen Kinos hat man Marie Trintignant, die zuletzt erfolgreich ins komische Fach wechselte, nach „Betty“ nur selten gesehen. Nebenrollen in Jacques Doillons „Ponette“ (1996), einem Film um ein vierjähriges Mädchen, das unbeirrt den frühen Tod der Mutter – Marie Trintignant – betrauert, oder auch in Pierre Salvadoris Gaunerkomödie „Die Anfänger“ (1995) an der Seite ihres damaligen Mannes François Cluzet. Am bekanntesten wurde sie hierzulande wohl durch ihre Hauptrolle in Yvan Marcianos „Der Schrei der Seide“ – sie spielte eine sanft gestörte Frau, die dem Fetisch Seide verfallen ist und nicht nur mit dieser Passion ihren Anstaltspsychiater verzaubert.

Auch in Frankreich setzte sich die Schauspielerin, deren Karriere erst an ihrer fast autistischen Schüchternheit zu scheitern drohte, im Kino nie ganz durch, anders als ihre Generationsgenossinnen Emmanuelle Béart, Isabelle Huppert oder Juliette Binoche, die im Fach der mal sinnlichen, mal neurotischen Frau zu brillieren wissen. Dafür tingelte sie zuletzt mit ihrem Vater erfolgreich mit Samuel Benchetrits „Comédie d’un quai de gare“ über den Boulevard der französischen Bühnen: Ein Vater verkuppelt seine Tochter an einen Fremden, ohne dass der von der Verwandtschaftsbeziehung weiß – nichts leichter und luftiger und auch lustiger als das. So schien Trintignants Biografie ganz im Hellen angekommen.

Jetzt ist Schwärze. Wie sangen doch Noir Désir? „Du willst nicht sprechen / Du willst nicht, dass ich’s sage / Alles bleibt noch / Unbestimmt.“ Aber das sind Zeilen aus ihrem ersten Album von 1986, ein paar Jahre, bevor ihr Siegeszug als politisches Gewissen der französischen Jugend begann. Das Lied hieß „Où veux-tu qu’ je r’garde“ (Wohin meinst du, dass ich sehen soll?). Und es handelte, behutsam, vom Anfang einer Liebe.

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