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Kultur: Das Schweigen der Pfeiler

Autobahnen sind Monumente des Flüchtigen. Sie sind wie ein endloses Gewebe über das Land gespannt, Adern eines Organismus, die zu einem immer dichteren Geflecht wuchern.

Autobahnen sind Monumente des Flüchtigen. Sie sind wie ein endloses Gewebe über das Land gespannt, Adern eines Organismus, die zu einem immer dichteren Geflecht wuchern. Der Mensch, der auf ihnen unterwegs ist, sieht Schilder, Dörfer, Landschaften vorbeifliegen. Doch die Straße selbst, auf der er davoneilt, ist bloß ein graues Band, das sich unter den Rädern seines Wagens abrollt. Autobahnen sind eigentlich unsichtbar. Der Fotograf Hans-Christian Schink macht dieses Unsichtbare sichtbar: in grandioser Erhabenheit. Seine Serie "Verkehrsprojekt Deutsche Einheit" dokumentiert den Ausbau des Straßenetzes in den neue Bundesländern - vor allem in Thüringen und Sachsen - seit 1990. Zu sehen sind auf diesen Bildern, in Nahsicht und in Formaten von bis zu 178 mal 211 Zentimetern: Brücken und Pfeiler, Trassen mit frisch aufgeschütteten Teerdecken, sanft geschwungenen Kurven, die sich im Nebel verlieren. Schink zeigt die Autobahnen stets kurz vor oder unmittelbar nach ihrer Vollendung. Noch fährt hier kein Auto, nichts stört die Stille der Dinge. Die Straße als Schöpfung zweiter Ordnung, als Kultur-Landschaft.

"Hans-Christian Schink sammelt visuelle Indizien wie Räume, Häuser, Fassaden, Konstruktionen, Straßen", hat der Kunsthistoriker Meinhard Michael geschrieben. "Es sind Produkte heroischer Vorgänge: Landnahme, Urbanisierung, Behausen. Der Fotograf schreitet die berühmten Räume für Menschen ab." Schink ist tatsächlich ein Ab-schreiter, er nähert sich seinen Objekten aus der Perspektive des Fußgängers. Die Stelzen, die ein aufgesockeltes Autobahnteilstück tragen, zeigt er aus Augenhöhe eines Davorstehenden, so wie sie der Autofahrer niemals zu Gesicht kriegen wird. Sie verwandeln sich in monströse Skulpturen, die deutlich erkennbaren Abdrücke der Verschalungen an der Betonoberfläche könnten auch eine Künstlersignatur sein. Immer ist auf Schinks Aufnahmen auch die Natur zu sehen. Es gibt kleine Stillleben von Sträuchern, Gräsern, Blumen am Bildrand, manchmal - wenn der Blickpunkt höher liegt - staffelt sich die Landschaft vedutenhaft in Prospekten aus Wäldern, Hügeln, Wiesen. Die Verkehrsplaner sind verpflichtet, den Raubbau an der Natur auszugleichen. In Form von Reisighaufen, Froschteichen, Mulchlöchern, Bussardstangen und frisch gepflanzten Bäumen rückt die ökologische Nachbesserung ins Bild. Schink bevorzugt, um harte Schatten zu vermeiden, sonnige, leicht wolkenverhangene Tage für seine Aufnahmen. Diffuses Licht dämpft die Farben, zeichnet die Konturen weich, der Gesamteindruck ist milchig. Es kommt einem vor, als könnte man seine Fotos auch bloß geträumt haben.

Schink spaziert nicht nur durch Landschaften, er wandert auch durch Zeiten. Im Gepäck hat er die Malerei der Romantik, die schweigsamen, mit Pathos aufgeladenen Landschaften eines Johann Christian Dahl oder Caspar David Friedrich. Als Schinks Fotos im New Yorker Goethe Institut ausgestellt wurden, schrieb der New Yorker: "Schink, ein eigenartiger Erbe von Caspar David Friedrich, präsentiert jede Betonbrücke oder Überführung als atemberaubende Ruine, monumental daliegend in der Morgendämmerung." Schink, 1961 in Erfurt geboren, hat an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert. Er fing an mit Auftragsarbeiten für Architekturbücher und beschäftigte sich mit den gesichtslosen Industrie- und Wohnbauten in den deutschen Vorstädten. Auf den ersten Blick erinnern seine Fotos an die lakonischen Architektur-Aufnahmen von Bernd und Hilla Becher und ihren Düsseldorfer Schülern. Aber Schink ist, anders als die Bechers, kein Systematisierer. Seine Bilder funktionieren nicht erst in der Serie. Sie erzählen von der Schönheit und von der Ödnis einer Natur, die sich der Mensch untertan gemacht hat.

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