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Kultur: Das Schweigen

Wettbewerb (2): So stirbt Frankreichs Präsident – in „Der späte Mitterrand“ von Robert Guédiguian

François Mitterrand war 14 Jahre lang französischer Präsident, bis 1995. Ein Chamäleon, sagt man, ein Kontrollfreak, der seine Freundinnen verleugnete und seine Freunde überwachen ließ, Machtmensch wie kaum einer, Sozialist in einer Zeit, die nicht mehr genau wusste, was dieses Wort bedeutet.

Dies ist ein Film über seine letzten Monate, basierend auf einem DokuRoman von Georges-Marc Benamou. Der unheilbar krebskranke Mitterrand (Michel Bouquet) lässt einen jungen, scheinbar unbedarften Journalisten (Jalil Lespert) seine Biografie verfassen, es geht um La Gloire, das Bild für die Nachwelt. Mitterrand, der sich für den letzten großen Staatsmann Europas hält, möchte dieses Bild selber malen. Aber er spürt mehr und mehr, dass die Geschichte sich nicht überlisten lässt, so wenig wie der Krebs.

Der entscheidende Konflikt: eine Jahreszahl. Hat sich Mitterrand 1942 der Résistance angeschlossen oder erst 1943, als die Niederlage der Deutschen bereits absehbar war? War er, als seine Karriere begann, ein Opportunist, der sich alle Optionen offen hielt, auch die Kollaboration mit den Nazis? Der Journalist recherchiert. Es sieht nicht gut aus für den Präsidenten. Der aber schweigt. Mitterrand spricht in Aperçus, dass es nur so funkelt. Mitterrand sitzt nackt in der Badewanne. Mitterrand ist mal liebenswert, mal arrogant, mal eitel. Er besucht in der Kathedrale von Chartres seinesgleichen, streichelt die Marmorstatuen der Könige, philosophiert über die Illusionslosigkeit und die Beine von Julia Roberts. In einem Film dieser Art, Monologe eines Sterbenden, sieht der Hauptdarsteller fast zwangsläufig gut aus. Und doch ist „Le promeneur du Champ de Mars“ ein lebloses Werk, eines, das kalt lässt, phasenweise sogar langweilt. Es gibt im französischen Film nicht die respektlose politische Tradition Hollywoods. In Hollywoodfilmen über einen Präsidenten ist alles möglich. Amerikas Individualismus, sein Föderalismus, sein Pop, das alles relativiert die Rolle des Präsidenten.

In Frankreich verkörpert er die Nation, sein Fleisch ist ihr Fleisch. So spürt man fast in jeder Minute das Gewicht der Staatsraison, die bleischwer auf Robert Guédiguians Film lastet. Und wenn Michel Bouquet totenbleich und denkmalgleich seine Funkelsätze deklamiert, hört man, wie im Hintergrund die Gerippe von Corneille und Racine leise klappern.

Heute, 12 Uhr und 18.30 Uhr (Urania), 22.30 Uhr (International); 20.2., 18.30 Uhr (Urania)

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