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Kultur: „Das sind keine Monster“

Regisseur Hany Abu-Assad und Produzent Amir Harel über Helden, Pässe und bewaffnete Milizen, die ihren Film verhindern wollten

Herr AbuAssad, als Student wollten Sie zur PLO gehen und Kämpfer werden. Jetzt sind Sie ein erfolgreicher Filmemacher.

ABU-ASSAD: Ich wollte ein Held sein, hatte diese romantische Vorstellung vom Freiheitskämpfer. Ich war frustriert über die Situation der Palästinenser, über die israelische Besatzung und die Demütigungen. Aber bei der PLO wollten sie mich nicht, ich solle lieber mein Studium beenden, sagten sie. Filmemacher wollen ja letztlich auch Helden sein, über sich hinauswachsen. Eigentlich habe ich Glück gehabt: Filmemacher töten niemanden.

Ist das ein Kampf mit anderen Mitteln?

ABU-ASSAD: Ein Film ist ein künstlerisches Produkt. Ich will in einen Charakter schlüpfen, der ich selbst nicht bin, ich erlebe mit ihm Dinge, die ich vorher nicht erlebt habe. Meine Motivation ist die Neugier. Aber natürlich ist „Paradise Now“ für mich auch ein Weg, der Ohnmacht gegenüber der Besatzung zu entfliehen.

HAREL: An erster Stelle steht immer der Wunsch, eine gute Geschichte zu erzählen. Wir wissen aber, dass wir bei so einem delikaten Thema auch eine Verantwortung tragen. Und dass es viele geben wird, die uns missverstehen wollen. Nach der Premiere des Films auf der Berlinale stand auf einer israelischen Internetseite, ich mache als israelischer Produzent Geld mit dem Blut der Terroropfer.

Vor einer Woche hatte „Paradise Now“ in Ramallah Premiere. Wie fand ihn das palästinensische Publikum?

ABU-ASSAD: Vor Ramallah hatte ich am meisten Angst, weil es mir sehr wichtig war, wie die Menschen, von denen der Film handelt, ihn aufnehmen. Insgesamt waren die Reaktionen sehr positiv, dem früheren Informationsminister Abed Rabbo und der Sprecherin von Präsident Abu Mazen hat der Film sehr gefallen. Aber einige sagten auch, ich biedere mich mit dem Film beim Westen an. Das ist ein Vorwurf, der mich sehr hart trifft. Diese Kritiker haben eine andere politische Sichtweise als ich, für sie sind Attentäter nicht einfach Menschen, sondern Heilige.

Sie mussten die Dreharbeiten in Nablus abbrechen, unter anderem weil bewaffnete palästinensische Milizen in Ihr Büro eindrangen und Sie bedrohten.

ABU-ASSAD: Sie fanden, ich mache die Attentäter schlecht. Wenn man sie als Menschen zeigt, die pinkeln gehen und darüber debattieren, ob es so etwas wie das Paradies überhaupt gibt, dann ist das für einige in Nablus eine Beleidigung. Die Dreharbeiten waren ein Albtraum. Ich wachte jeden Morgen auf und dachte, es könnte mein letzter Tag sein.

Die Palästinenser leiden nicht nur unter der israelischen Besatzung, sondern auch unter den bewaffneten Milizen. Warum zeigen Sie das nicht?

ABU-ASSAD: Weil es nicht das Thema meines Films ist. Ich erzähle von einem Vater, der seiner Familie ein besseres Leben ermöglichen will und mit dem Feind, den Israelis, kollaboriert. Der Sohn, der das Ansehen der Familie wiederherstellen will, tötet sich selbst gemeinsam mit dem Feind. Ich bin kein National-Geographic-Dokumentarfilmer, der jedes Detail eines Konfliktes beleuchten will.

Die beiden Attentäter sind sehr schüchterne Männer, quasi selbst Opfer. Haben Sie, Herr Harel, sich nicht gesagt: Die kommen viel zu gut weg, immerhin haben sie es auf mein Leben abgesehen.

HAREL: Ganz im Gegenteil. Wenn ich sie als Monster darstellen würde und ihnen alles Menschliche abspräche, dann könnten mir nur noch die „Ghostbuster“ helfen. Dieser Konflikt ist blutig und grausam, aber es ist ein Konflikt zwischen Menschen. Und das gibt mir auch die Hoffnung, dass die Situation eines Tages vorbei sein wird, denn Menschen sind prinzipiell zu Mitleid fähig.

ABU-ASSAD: Sie können natürlich fragen: Warum haben Ihre Attentäter so schöne blaue Augen? Warum sind das keine religiösen Fanatiker? Wir wollten sie als Menschen zeigen, die nicht mehr akzeptieren wollen, nur Opfer zu sein.

Einer der Schauspieler erzählte, nach dem Dreh in Nablus könne er verstehen, warum Menschen zu Attentätern werden, auch wenn das ihre Taten nicht rechtfertige.

HAREL: Für die meisten Schauspieler, war es das erste Mal in den besetzten Gebieten. Die Erfahrung in Nablus hat sie überwältigt. Alle israelischen Araber…

ABU-ASSAD: …oh, bitte verwende nicht diesen Ausdruck.

HAREL: Okay. Anders gesagt: Die Schauspieler sind alle Palästinenser mit israelischem Pass. Und es macht einen Unterschied, ob man als Palästinenser in Haifa aufgewachsen ist oder in Nablus. In Nablus lebt man unter viel schwierigeren Bedingungen.

Wie bezeichnen Sie sich, Herr Abu-Assad, als Israeli oder Palästinenser?

ABU-ASSAD: Solange sich Israel als jüdischer Staat versteht, kann ich auch kein Israeli sein. Ich bin kein Jude, wie soll das gehen? Ich bin Palästinenser und habe einen israelischen Pass. „Israelische Araber“, das gibt es nicht.

Zuletzt hat es in Israel kaum Anschläge gegeben, und Israel ist aus Gaza abgezogen. Könnten Sie sich vorstellen, dass es die von Ihnen gezeigte Realität bald nicht mehr gibt?

ABU-ASSAD: Gaza ist ein Anfang. Aber so lange Palästinenser und Israelis nicht in Gleichheit miteinander leben, werden die Kämpfe weitergehen.

HAREL: Als wir 2002 mit dem Projekt begannen, war das wirklich eine furchtbare Zeit. Aber wir hatten von Anfang an Hoffnung. Einmal, weil man ohne Hoffnung im Nahen Osten nicht überlebt, und dann, weil wir beide glauben, dass wir uns mit der Existenz des jeweils anderen abfinden müssen. Der Gaza-Rückzug hat zumindest bewiesen, dass Israel ohne Probleme die besetzten Gebiete räumen kann. Viele haben vor einem Bürgerkrieg gewarnt, aber nichts davon ist passiert. Menschen haben die Fähigkeiten, Unrecht zu überwinden – nicht zu vergessen, aber zu vergeben. In Europa zum Beispiel …

ABU-ASSAD: … wir leben nicht in Europa.

HAREL: Wo ist der Unterschied? Vor 60 Jahren gab es hier ein Massaker, die Europäer haben sich gegenseitig umgebracht. Und heute sitzen wir hier, und es ist eine andere Welt.

Und was wird der nächste Film sein, den Sie zusammen machen?

HAREL: Wir müssen erst mal diesen hier überleben.

Das Gespräch führten Annabel Wahba und Clemens Wergin.

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