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Kultur: Das Spiel der Stunde

Die deutschen Auktionshäuser blicken auf ein glanzvolles Jahr zurück

„Kunstmarkt, Pokern – Investieren – Gewinnen“, so lautet der Titel eines just im Prestel Verlag erschienen Strategiespiels. Es gibt Bilderkarten und Spielgeld, und wie im richtigen Leben der neuen Reichen gilt es, Meisterwerke günstig einzukaufen und mit Gewinn weiterzuverkaufen. Auch manche reale Transaktion konnte in diesem Jahr den Eindruck erwecken, es handle sich bei den Einsätzen, die dort geboten werden, lediglich um Spielgeld. In Deutschland werden zwar noch nicht so astronomische Summen gezahlt wie bei Christie’s, Sotheby’s und Phillips de Pury in London und New York, aber um Millionenumsätze geht es auch hier: Allein bei den sechs Auktionen zum Jubiläum der Berliner Villa Grisebach wurden Kunstwerke für über 25 Millionen Euro verkauft – ein noch nie erreichter Umsatz. Erstmals wird die Villa Grisebach damit in ihrem Jubiläumsjahr den Jahresumsatz von 40 Millionen Euro überschreiten. Toppen kann dieses Traumergebnis in Deutschland nur das Kölner Haus Lempertz, das eine Umsatzsteigerung von 38 Prozent für sich verbuchen kann und seinen Umsatz mit 53 Millionen Euro beziffert – auch hier geht damit das seit Jahrzehnten beste Auktionsjahr des Hauses zu Ende.

Direkt vergleichen lassen sich die Ergebnisse von Deutschlands führendem Auktionshäusern allerdings nicht – schließlich führt Lempertz mehr Auktionen durch und hat neben den Zugpferden Klassische Moderne und zeitgenössische Kunst auch Asiatika und Kunstgewerbe im Angebot. Und gerade auf letzterem Gebiet hat sich der Einsatz in diesem Jahr gelohnt. Es gab nicht nur eine Umsatzsteigerungen von 120 Prozent, sondern auch eine Riesenüberraschung: ein um 1894 entstandenes, bisher unbekanntes und von einem Lempertz-Mitarbeiter entdecktes französisches Möbel wurde zum teuersten Möbelstück, das je in Deutschland versteigert wurde. Das große zweiteilige Kabinett im japanischen Stil, das nach einem Modell von Henry Pannier nach dem berühmten, 1877 entstandenen Vorbild von Edouard Lièvre entstand (heute im Musée d’Orsay in Paris), kletterte in der Auktion auf 915 000 Euro.

Neben solchen Überraschungserfolgen haben vor allem gezielte Schritte nach Außen zu der positiven Bilanz beigetragen, resümiert Lempertz-Inhaber Henrik Hanstein. Die ersten beiden Auktionen in der Berliner Dependance für Kunsthandwerk im Mai und für zeitgenössische Fotografie im Herbst waren ein voller Erfolg. Und auch die Teilnahme des Auktionshauses an einer Asiatika-Messe in Hong-Kong habe sich ausgezahlt. Der Umsatz stieg um 25 Prozent. „Russland und China spielen eine immer größere Rolle“, sagt Hanstein. Vor allem seitdem die Sammler sich nicht nur für ihre eigene kulturelle Identität engagieren, sondern auch für die klassische deutsche Moderne.

Dieses an Spitzenwerken immer knapper werdende Marktsegment hat auch in diesem Jahr wieder für enorme Preissprünge gesorgt. Ein leuchtend farbiges Gemälde von Heinrich Campendonk wurde bei Lempertz zum teuersten Kunstwerk des Jahres: Das 1914 entstandene und erst kürzlich wiederentdeckte, auf 800 000 bis 1,2 Millionen Euro geschätzte Gemälde „Rotes Bild mit Pferden“ ging für 2,9 Millionen Euro an einen Sammler aus Paris und übertraf damit noch die Millionenbilder der Villa Grisebach. Hier ersteigerte ein süddeutscher Privatsammler Max Liebermanns 1925 entstandenes Gemälde „Rondell im Heckengarten für 2 186 500 Euro und verfünffachte damit den Schätzpreis. Für Lyonel Feiningers „Hohe Häuser“ aus dem Jahr 1919 zahlte ein New Yorker Sammler sogar 1 726 500 Euro. Die Steigerurungsraten, die momentan auf dem Kunstmarkt möglich sind, macht auch Emil Noldes Aquarell „Rote Mohnblüten“ deutlich, das mit 335 000 Euro zur teuersten Papierarbeit Deutschlands wurde. Noch im Juni 2002 hatte das gleiche Blatt bei einer Lempertz-Auktion 207 000 Euro erzielt.

Doch nicht nur die ganz großen Namen waren gefragt. Robert Ketterer vom Münchner Auktionshaus konnte einen neuen Weltrekord für den Künstler Wladimir von Bechtejeff aufstellen, dessen künstlerisches Werk weitgehend verschollen ist. Das aus Familienbesitz stammende, 1919 entstandene Ölgemälde „Kurtisane“ wurde für 475 000 Euro verkauft. Insgesamt erzielte Ketterer einen Jahreserlös von 18 Millionen Euro und konnte sein Vorjahresergebnis damit um 50 Prozent steigern.

Viele der deutschen Auktionshäuser profitieren im Jahr 2006 vom Kunstboom: von Bassenge in Berlin, über Van Ham in Köln, die im dem Jahr ihrer 250. Auktion ihren Umsatz noch einmal um 15 Prozent auf 17 Millionen Euro steigern konnte, bis zu Neumeister in München, die mit einer Auktion aus den Beständen der Gesellschaft der Freunde der Stiftung Haus der Kunst im Oktober mit einem Gesamtergebnis von 5,5 Millionen Euro ihr bisher bestes Ergebnis einer Abendauktion erreichten. Allein Konrad Klaphecks 1977 entstandenes Bild „Der mütterliche Vater“ erreichte hier statt der geschätzten 30 000 bis 40 000 Euro stolze 355 000 Euro.

Vor allem die Nachkriegskunst bleibt auf dem Vormarsch. Spitzenbild war Gerhard Richters „Landschaft mit Wolke“, das im Frühjahr in der Villa Grisebach 1 036 500 Euro erzielte. Doch auch jüngere Positionen werden sehr hoch bewertet, wie Matthias Weischers „Bulgarisches Haus“ (2001), das 145 250 Euro in der Jubiläumsauktion erzielte. Da liegt es nahe, dass man in der Villa Grisebach zurzeit darüber nachdenkt, eigene Auktionen für zeitgenössische Kunst zu organisieren. Auch das Kunsthaus Lempertz hat seine Schlüsse gezogen und wird im nächsten Jahr die Fotokunst nicht mehr im Rahmen der Fotografie, sondern im Kontext der zeitgenössischen Kunst versteigern. Denn wie heißt es schon in der Spielanleitung von „Kunstmarkt“? „Es wird am Ende nur das Geld gezählt; unverkaufte Bilder bringen nichts.“

Katrin Wittneven

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