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Kultur: Das "Stilwerk" im Herzen der Charlottenburger City

Was an den Einkaufscentern wohl am meisten stört, die derzeit allerorten aus dem Berliner Boden sprießen, ist neben der meist banalen Architektur ihr ermüdend gleichförmiges Angebot. Überall werden die gleichen wabbeligen Brötchen, die nämlichen billigen Parfums angeboten.

Was an den Einkaufscentern wohl am meisten stört, die derzeit allerorten aus dem Berliner Boden sprießen, ist neben der meist banalen Architektur ihr ermüdend gleichförmiges Angebot. Überall werden die gleichen wabbeligen Brötchen, die nämlichen billigen Parfums angeboten. Da jubelt das verwöhnte Herz über ein entschiedenes Kontrastprogramm.

Vielfalt unter einem Dach, so lautet das marktorientierte Motto der Hamburger Erfolgsstory von "Stilwerk". Die Einkaufsgalerie mit ihrem Angebot exquisiter Design-Objekte hat nun auch in Berlin Einzug gehalten und wird, wie sich bereits in den ersten vier Wochen seit der Eröffnung Ende November zeigt, vom Publikum freudig angenommen. Freilich zuckt der Individualist unter den Flaneuren sogleich zusammen, wenn sich ihm dieses neue Einkaufscenter ausdrücklich als "Institut des guten Geschmacks" präsentiert. Schwingt hier eine gewisse pädagogische oder snobistisch-überhebliche Aufdringlichkeit mit?

Also verwandeln wir die Architekturkritik in einen Praxistest für Konsumenten und machen die Probe aufs Exempel: Die Besichtigung des Objekts der Kritik wird kurzerhand mit der Besorgung einer Stehlampe verbunden. Wer vom Charlottenburger Savignyplatz kommt, dem präsentiert sich das von den Architekten Novotny Mähner & Assoziierte (Offenbach/Berlin) und Studio & Partners (Mailand) entlang der Kantstraße entworfene Stilbauwerk wenig aufgeregt. Goldschimmernde Messingpaneele verleihen ihm einen noblen Charakter. Gläserne Treppentürme, die vertikale Werbeflächen bieten, gliedern es in einzelne Abschnitte. In einem regelrechten Crescendo wird der Glasanteil der Fassade dann zur Uhlandstraße hin gesteigert, um in einer durchsichtigen Rotunde zu kulminieren. Bauchig schiebt sie sich in den Straßenraum und verleiht der Kreuzung einen klaren Bezugspunkt. Überhaupt hat die Kantstraße, seit der Wende zu einer Problemzone der West-Berliner City verkommen, ihre Position durch das "Stilwerk" deutlich verbessern können - zumal die Ansammlung edler Geschäfte bereits Monate vor der Eröffnung eine Fülle weiterer Mieter in der näheren Umgebung anzuziehen vermochte. Zudem bewirkt das ambitionierte Restaurant im Erdgeschoss, dass alles Leben im Bau nicht mit Verkaufsschluss schlagartig erstirbt.

Die goldene Säule der so genannten Fassadenbefahranlage, die Alf Löhr gestaltet hat, soll des Nachts auch weiterhin die Sternenstellung am 9. November 1989 anzeigen. Solch inspirierter künstlerischer Geschichtsverweis überrascht unweit des Savignyplatzes. Schließlich gehört diese Gegend zu den seltenen Orten, an denen man manchmal noch ganz unverweht den Atem des alten West-Berlin verspüren kann.

Der Blick um die Ecke Kant-/Uhlandstraße zeigt hingegen, dass hier auch ein Stück Architekturgeschichte verloren ging. Nur ein Fragment des strengen steinernen Rasters der Vorgängerbebauung erinnert noch an den früheren Sitz der Niederlassung der Dresdner Bank von Geber und Risse. Stets gehörten die Arbeiten dieser beiden zu den qualitätvollen Beispielen der Fünfziger-Jahre-Architektur in Berlin. Vorbei und vergessen. In der Uhlandstraße befindet sich auch die Zufahrt zu den von Ottmar Hörl künstlerisch gestalteten beiden Etagen der Tiefgarage. Hörl versteht es, den zutiefst profanen Garagenraum durch die Auswahl der poesievollen Etagennamen "Stille" und "Zeit" zu nobilitieren.

Derart hochgestimmt betritt der Besucher den großzügigen Lichthof des Hauses. Die Anordnung der Geschäfte auf fünf Ebenen ist klar und erschließt sich auf den ersten Blick. Manche Geschäfte erstrecken sich freilich über zwei Geschosse. Alle Läden öffnen sich mit gläserner Front zum langgestreckten Lichthof. Damit man nicht jede Etage gänzlich umrunden muss, umdie gegenüberliegende Seite der Halle zu erreichen, kann der Hof auf Brücken überquert werden, die ein wenig an das berühmte Moskauer Kaufhaus "Gum" denken lassen. Die transparente Architektur gibt sich auch hier im Inneren zurückhaltend, aber durchaus niveauvoll. Die Metallgitter des Geländers oder die freiliegenden Lüftungsrohren, die silbrig glänzend unter der Decke verlaufen, ergänzen das Ambiente durch einen fabrikmässigen Akzent. Vier gläserne Aufzüge pendeln am Ende des Lichthofes durch die Höhen des Raumes, während dezente Drum & Bass-Musik im Hintergrund die Stimmung untermalen soll.

Lang ist die Liste der Mieter im "Stilwerk", und tatsächlich fehlen die großen Vertriebsorganisationen des Banalen. Auf einige alte Bekannte des gehobenen Berliner Einzelhandels stößt man gleichwohl. Aber hier macht das Wiedersehen Freude. Von der Küche über das Wohnzimmer und das Bad bis hin zum Schlafzimmer samt der zugehörigen Lampe hat sich im "Stilwerk" alles zusammengefunden, was gut und meist auch teuer ist. Chromglänzende Espressomaschinen, Klaviere oder edle Schmuckstücke ergänzen als Exoten das Angebot. Dem Begriff "Design" werden von den Galeriebetreibern keine engeren Grenzen gesetzt.

Allerdings ist den Ladenbauern ist bei der Ausgestaltung der einzelnen Geschäfte nicht gerade die Phantasie durchgegangen. Es scheint, als habe die Angst vor der Ablenkung vom Verkaufsobjekt vorgeherrscht. Manches Bürogebäude wirkt so im Inneren inspirierter als die Ladenlokale im "Stilwerk". Vielleicht aber drückt sich darin auch, als hanseatische Zurückhaltung, das Erfolgsrezept des "Stilwerk" aus, das es nun dem gelehrigen Berliner Turnschuhproletariat beizubringen gilt. Nur die vom Rezensenten erhoffte Stehlampe gibt es hier leider nicht. Im Stammgeschäft sei sie noch am Lager, wird ihm versichert. Macht nichts, aller Anfang ist schwer. Der Kritiker wird trotzdem wiederkommen.

Jürgen Tietz

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