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Kultur: Das STÜKKE-Theater muß doch nicht schließen, sondern kann nach Friedrichshain umziehen

Eine Abschiedsvorstellung sollte es werden, das passende Stück zum unwiderruflichen Ende war schnell gefunden. Bei "Forever Godard" von Igor Bauersima , das als deutsche Erstaufführung im STÜKKE-Theater zu sehen ist, geht das Theater am Ende virtuell in Flammen auf.

Von Sandra Luzina

Eine Abschiedsvorstellung sollte es werden, das passende Stück zum unwiderruflichen Ende war schnell gefunden. Bei "Forever Godard" von Igor Bauersima , das als deutsche Erstaufführung im STÜKKE-Theater zu sehen ist, geht das Theater am Ende virtuell in Flammen auf. Auch die Lichter in der kleinen Spielstätte am Südstern werden bald für immer ausgehen.

Die Inszenierung von Donald Berkenhoff, die virtuelle Sehnsüchte und reales Scheitern, digitale Bilder und theatrale Reflexionen verklammert, zeigt aber keinen kraftlosen Abgesang. Eine Bühne, die sich schon vor dem Aus wähnte, gibt sich hier nicht den Todesstoß. Mit "Forever Godard" glückte ein intelligenter Theaterspaß. Und nun könnte es sogar heißen: Forever STÜKKE. Die Theaterleiche steht kurz vor einer glanzvollen Wiederauferstehung.

Doppeltes Ungemach traf die Betreiber des Stükke-Theaters, Holger Steudemann und Stefanie Kuch-Steudemann, in diesem Jahr. Der Mietvertrag der Kreuzberger Spielstätte läuft Ende dieses Jahres aus, zudem hat er Vermieter der "Höfe am Südstern" Konkurs angemeldet. Durch die Reduzierung der Förderung um 15 Prozent nach dem Rasenmäherprinzip sah sich das Theater zudem akut in seiner Existenz bedroht. Erschwerend kam hinzu, dass STÜKKE nach der dreijährigen Optionsförderung heruntergestuft worden war zu einer einjährigen Bezuschussung. Die kurzfristige Mittelvergabe ergibt keinen Sinn bei einer Bühne, die der langfristigen Planung bedarf, da lange im voraus die Rechte an Theatertexten gesichert werden müssen.

Aus heiterem Himmel erreichte die STÜKKE nun das verlockende Angebot der KirchBauhof GmbH, ein nagelneues, komplett eingerichtetes Theater in Friedrichshain zu bespielen. In einem ehemaligen Umspannwerk entsteht mit Fördermitteln der Europäischen Union ein Kulturzentrum. Rund eine Million Mark fließen allein in den Ausbau und die Ausstattung des Theatersaals. Am gestrigen Dienstag lud man zu einer ersten Begehnung des denkmalgeschützten Gebäudekomplexes. Überall wird hier noch gehämmert und geschweißt, erkennbar ist, dass hier ein schmucker Theatersaal mit 99 Plätzen entsteht, der mit seinen großzügigen Dimensionen jede Off-Off-Drangsal hinter sich läßt. Mit seinem Standortwechsel will STÜKKE auch in eine andere Liga aufsteigen. In den vergangenen 15 Jahren hat STÜKKE sich dank seines klugen Spielplans und seiner anspruchsvollen, dabei unterhaltsamen Inszenierungen ein überregionales Ansehen erspielt. STÜKKE stand für das Experiment, garantierte zugleich eine hohe Professionalität. Das Produktionsteam hat sich ganz der zeitgenössischen Dramatik verschrieben. Die auf Uraufführungen und deutschsprachige Erstaufführungen abonnierte Bühne zeigte junge Autoren, die est später als "hot" gehandelt wurden. Regisseur Donald Berkenhoff, heute Oberspielleiter in Tübingen, verdankte das Theater eine klare künstlerische Handschrift. Dank Berkenhoff, der auch lektoriert und übersetzt, konnte STÜKKE brandaktuelle anglo-amerikanische Dramatik vorstellen, lange bevor eine regelrechte Welle losgetreten wurde. Lange behauptete STÜKKE seine Position als Bastion zeitgenösssischer Dramatik, bis dann kometengleich der Stern der Baracke aufging. Thomas Ostermeier und seine Mitstreiter erreichten mit ihren Inszenierungen eine sehr viel größere Öffentlichkeit.

Das Stück, das den Ruhm der Baracke begründete, Mark Ravenhills "Shoppen und Ficken", hätte eigentlich im STÜKKE-Theater seine deutsche Erstaufführung erleben sollen. Die Kreuzberger Bühne wurde so ein wenig ins Abseits gedrängt. Und die sinkende Förderung schien dann das Aus zu bedeuten. Die SOS-Rufe fanden ein breites Echo. In flammenden Appellen, etwa von Tankred Dorst, wurde der Kultursenator aufgefordert, sich für die Rettung der Bühne einzusetzen. Nun hat sich das Blatt gewendet. Sein bewährtes Konzept will STÜKKE am neuen Ort unter veränderten Koordinaten fortsetzen. Ein ganzjähriger Spielbetrieb muß auf die Beine gestellt werden; neben 3-4 Eigenproduktionen sind zahlreiche Gastspiele vorgesehen. Als künstlerischer Leiter konnte Donald Berkenhoff gewonnen werden, der - parallel zu seinen Tübinger Aktivitäten, verantwortlich sein wird für Stückauswahl und die Regisseurs-Equipe. Nicht nur mit Anlaufkosten für die Etablierung eines neuen Spielortes muss gerechnet werden, insgesamt wird der Finanzbedarf der "Palisade" höher ausfallen als in der Hasenheide. Das ästhetische Wagnis muss wiederum mit finanziellen Risiken erkauft werden. Es gibt zwar Signale der Kulturverwaltung, dass die Fortführung von STÜKKE durchaus erwünscht ist. Zusagen auf eine höhere Subventionierung wird es erst einmal nicht geben - der Theaterjury sind durch die Förder-Richtlinien derzeit die Hände gebunden. Ein flexibles Reagieren auf neue Entwicklungen erlaubt dieses modifizerte Fördermodell zudem nicht. Über eine zweijährige Basisförderung wird erst im Jahr 2000 beraten. Alle Hoffnung ruht nun auf Staatssekretär Lutz von Pufendorf, der zugesichert hat, sich "emphatisch" für den Antrag bei der Stiftung Klassenlotterie einsetzen. Überleben im Off-Off - darin ist das STÜKKE-Team geübt. Im März 2000 hofft STÜKKE mit einem neuen Stück von Igor Bauersima wiedereröffnen zu können. Derweil wurde "Forever Godard" erst einmal verlängert - wegen reger Nachfrage.

"Forever Godard", bis 24. Oktober, Mittwoch bis Sonntag, Zusatztermine: 3., 5./6., 10. und 12./13. November, jeweils 20.30 Uhr.

Autor: r_t_cummings@compuserve.com

Die Uni: Hassenswertes und Liebenswertes.

Die Universität ist nicht mehr alle Welt. Nur selten kommt es zu heißblütigen Liebeserklärungen. Die Uni ist ja auch nicht mehr jungfräulich, neugierig und unbescholten, sondern die Alma Mater ist heute eine gestandene Maitresse, "mit viel Holz vor der Hütten" (oder Stahlbeton) und allerlei wechselnder Kundschaft, den Studentenmassen, abgesehen von den Professoren und Professorinnen, die ihr gern treu bleiben. Es zahlt sich ja gut aus. Mit der Uni läßt sich gut leben, wenn man einmal Zugang zu einem ihrer Kämmerchen gefunden und gut eingerichtet ist. Hat man hohe Erwartungen, ist die Enttäuschung umso größer. Zur bitteren Enttäuschung gesellen sich Haßgefühle. Zur Uni kann man kein gleichgültiges Verhältnis haben, denn in ihr dreht sich alles ums Wissen - und Wissen ist Macht. Mit Objektivität und jungfräulicher Wahrheit hat die Uni nicht allzuviel im Sinn. Allerlei Obsessionen und Machtgelüste machen sie zum Jahrmarkt der Eitelkeiten. Und so hat man keine Wahl: Entweder man haßt die Uni, liebt sie oder tut beides zugleich. Wissenschaftliche Betätigung heißt nichts anderes, als dass man an ihrer Brust liegen und sein Herz ausschütten will - doch nicht jeden läßt die Uni an sich heran. Tut sie es doch, dann stößt deine Liebe objektiv auf Gegenliebe. Prüfungen zeigen, was es mit der Wissenschaftlichkeit der Universität auf sich hat. Not macht erfinderisch, und so stilisiert sich jeder Prüfling zu David, der gegen Goliath, den prüfenden Professor, in den Kampf zieht. Doch weder herrscht Waffengleichheit, noch kommt es überhaupt zu einem Kampf. Der Prüfer will ja keine Diskussion, sondern die Nummer nur von der Liste streichen. So verkommt eine Prüfung zum reinsten verächtlichen Glücksspiel. In wenigen Minuten sind ein Shakespeare, ein Goethe und Rilke auf irgendwelche Sinnfetzen und Fakten hin zu sezieren - und sowohl Prüfer als auch Prüfling haben dabei natürlich nichts anderes als Objektivität im Auge. Trifft der Prüfling ins Schwarze, erwärmt sich das Herz des Professors. Die Sucht nach Objektivität ist nichts anderes als die Liebe fürs Wahre. Kommt der Prüfling auf Abwege, fühlt der Prüfer sich höchstpersönlich auf den Fuß getreten. Das Falsche ist hassenswert. Und so obsiegt am Ende des Studiums die pure Emotion: Verachtung, wenn Goliath triumphierte, oder Hochachtung vor der Uni, wenn Goliath und David sich im Bruderkuß vereinten. Doch bereits während des Studiums zetert man genüßlich, denn in der Uni, dem chaotischen Eingeweide aus Gängen, Sälen und Warteschlangen davor, verkommt jeder zum gehässigen Nörgler. Studenten nagen an den Brocken, die die Professorenschaft ihnen zuwirft. Einem Professor ergeht es nicht anders, selbst wenn er es nicht zugibt. Das Gebot wissenschaftlicher Anschlussfähigkeit verlangt von ihm, zumeist nach den Zutaten zu greifen, die die Lektüre, Kollegen und Konkurrenten ihm reichen. Die Uni ist ein Wissen wiederkäuendes Ungetüm ohne besonderes Ziel als das der Wiederholung und Verwaltung von Wissen, der Produktion von Absolventen am anderen Ende. Die ständigen akademischen Hahnenkämpfe hingegen sind völlig ziellos, wenn auch voller Sinn. Gelegentlich, natürlich, wächst die Uni an einigen ihrer Flanken über sich hinaus und hat neuartige Erkenntnisse, nach denen tatsächlich ein paar außer-universitäre Hähne krähen. Die Uni ist eine garstige Behörde, die jeden zum Bittsteller und Störenfried erniedrigt und auf die Jagd schickt nach Immatrikulationsbescheinigungen, Prüfungsterminen, Sprechstunden, Gutachten, Stipendien, Fördermitteln. Die Vorstellung der Uni als Dorf und idyllisch gelegene Abtei ist so gefühlsduselig wie der Wunsch des Studenten, auf Du mit den Professoren zu sein. Hassenswert sind nicht die Akademiker, welche zu der komplett weltfremden Art gehören wie die Geisteswissenschaftler. Der berühmte, wirklich schusselige, ansonsten aber brillante Dozent mit Toupet ist und bleibt ein seltenes Ereignis, auch wenn Amor nicht gleich mit seinen Pfeilen schießt. Verachtenswert und erbärmlich ist die nörgelnde Professorin, für die Studenten wie Kinder im Hinterhof sind. Nett anzusehen sind sie, aber bald geht das Gekreisch und Gejaule ihr auf die Nerven. Liebenswerte Züge gewinnt die Uni erst, wenn man merkt, wie wunderbar es ist, sich beispielsweise von Walther von der Vogelweides Liedern und Trällereien umgarnen zu lassen, während tausende Mitbürger als postmoderne Bürosklaven malochen. Wundersam ist es und der pure Luxus, den man auskosten muss, bevor andere Zeiten anbrechen. Die Uni ist genau da ein Liebesnest, wo das Studium zum Selbstzweck gerinnt und man allem Haschen nach Wind noch einen Sinn abgewinnen kann.

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