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Kultur: Das süße Leben

Die Tefaf Maastricht präsentiert sich jünger und potenter denn je

So atemberaubend schön kann Chaos sein. Zumindest, wenn es von Odilon Redon gemalt ist. Zwischen 1905 und 1910 entstand das 64 mal 88 Zentimeter große Pastell des französischen Künstlers „Der Fall des Phaeton“. In seinen Metamorphosen beschreibt der Dichter Ovid, wie Phaeton, der Sohn des Sonnengottes Helios, versucht, den himmlischen Triumphwagen seines Vaters zu lenken – und abstürzt. Bei Redon bäumen sich Pferde und Reiter in rasender Anstrengung noch einmal auf, bevor sie wie Chimären in einem Wolkenmeer aus irisierenden Perlmuttfarben verschwinden. Der Urknall, vielleicht auch die Auferstehung von Mensch und Universum ist das Thema dieses grandiosen Bilds, das die legendäre New Yorker Galerie Wildenstein & Co./Pace Wildenstein für 2,5 Millionen Dollar anbietet.

Zusammen mit Richard Gray aus Chicago, Hopkins Custot aus Paris, Leonard Hutton aus New York, Jan Krugier aus Genf und Gagosian (New York / London / Los Angeles) ist Wildenstein einer der Spitzenhändler für Kunst der Klassischen Moderne und der Gegenwart, dank derer die Verjüngungskur der 19. Tefaf nun strahlend vollendet scheint. Schon zur exklusiven Preview am Donnerstag drängten sich viele mondän gestylte Dreißig- und Vierzigjährige in den Hallen, die man bisher nur bei Frieze Art Fair oder Art Basel Miami Beach traf. Die Strategie, die Blicke des neuen, eigentlich auf zeitgenössische Kunst fokussierten Nachwuchspublikums sanft auch auf Alte Meister, europäische Fayencen oder Han-Figuren aus Sichuan zu lenken, scheint zur Zufriedenheit aller Beteiligten gelungen.

Wie immer prunken die Platzhirsche der „Champs Elysées“ im Mittelgang der Messe mit spektakulären Werken. Aneinander angrenzend bieten die New Yorker Salander-O’Reilly Galleries und der Maastrichter Händler Noortman im Rembrandtjahr die beiden wohl teuersten Gemälde der Messe für 45 und 27 Millionen Euro an ( Tagesspiegel vom 4. März ). In unmittelbarer Nachbarschaft feiert das um 1670 entstandene, überbordende Stillleben aus Wassermelone, Kirschen, Feigen, Lilien und Rosen von Abraham Brueghel bei Bernheimer-Colnaghi das pralle Leben – für die satte Summe von 780 000 Euro.

Gegenüber sind bei Adriano Ribolzi aus Monte Carlo venezianische Raritäten, ein opulenter Leuchter (320 000 Euro) und die Statuetten von zwei Mauren (550 000 Euro) vor elegisch matten Spiegeln zu bewundern, beide stammen aus dem 18. Jahrhundert. Ebenfalls Seltenheitswert haben Bernstein-Miniaturobjekte vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, die der Münchner Georg Laue zu Preisen zwischen 5000 und 600 000 Euro offeriert.

Doch auch auf den Seitenwegen, vielleicht gerade dort, sind großartige Entdeckungen zu machen. Am Stand des Florentiners Fabrizio Moretti etwa eine magische Vedute des Canale Grande von Canaletto für 8 Millionen Pfund und ein Goldgrundtriptychon von Agnolo Gaddi, auf Ende des 14. Jahrhunderts datiert, für 1,1 Millionen Euro. Der New Yorker Händler Richard Feigen, seit langer Zeit wieder einmal auf der Tefaf, überrascht mit einem nur 20 mal 15 Zentimeter messenden Gemälde eines gekreuzigten Christus von Peter Paul Rubens aus dem Jahr 1618, das aus der Sammlung von Popstar David Bowie stammt (1,3 Millionen Dollar).

Die exzentrischsten Designobjekte befinden sich am Stand der Pariser Galerie Downtown: zwei überdimensionierte Lampenprototypen von Ingo Maurer und Ron Arad (120 000 Euro) und ein Lesetisch aus dem Jahr 1951 von Charlotte Perriand und Jean Prouvé für 1,5 Millionen Euro. Von erlesener Raffinesse sind auch Schränke und Tische der Hongkonger Galeristin Grace Wu Bruce aus der Ming-Dynastie, die über 100 000 Euro kosten.

Zwar tauchten die erhofften Gäste aus Asien, Indien und China am Vorbesichtigungstag erst vereinzelt auf, dafür amüsierte sich die überwiegend europäische und amerikanische Jeunesse doré umso lustvoller vor den Trophäen des eigenen Kulturkreises. Zum Beispiel vor Roy Lichtensteins Gouache „Leda mit dem Schwan“ aus dem Jahr 1968, die Gagosian für 3 Millionen Dollar anbot, oder vor Andy Warhols DiamantstaubSchuh-Werk für 1,75 Millionen Dollar bei Rafael Jablonka.

Unfehlbares Gespür für Luxus mit einem Hauch von Exaltiertheit verbindet der Münchner Galerist Daniel Blau, der ein aufregendes Gemälde von Francis Picabia, einen Akrobaten mit zur Brücke gebogenem Körper von 1949, für 700 000 Euro zeigt und ein auf 1956 / 57 datiertes, unwiderstehlich pausbäckiges Paar Gipsgold-Engelsplastiken von Lucio Fontana (850 000 Euro). Auf der Tefaf ist auch dieses Jahr wieder alles Gold, was glänzt. Wie der Audienzsessel, den August der Starke bestieg, als man ihn 1697 zum König von Polen krönte. Bei der Bremer Galerie Neuse steht der Thron für potenzielle Nachfolger bereit. Preis der Legitimation: 480 000 Euro.

Eva Karcher

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