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Kultur: Das Syndikat schießt zurück

Ja, es ist nicht einfach, in Deutschland einen Krimi zu schreiben.Und noch schwerer ist es, ihn nach dem Schreiben - zu verkaufen.

Ja, es ist nicht einfach, in Deutschland einen Krimi zu schreiben.Und noch schwerer ist es, ihn nach dem Schreiben - zu verkaufen.Der Kriminalroman ist Jahrhunderte nach seiner Erfindung immer noch eine Domäne angelsächsischer Autoren - kein Wunder, daß der einschlägige deutsche Markt nur zu etwa 15 Prozent von deutschen Autoren beliefert wird.

Nun ist es jedoch typisch für den Krimiautor, daß es ihn unabhängig von Marketingerwägungen einfach zum Schreiben drängt - wo soll er nun hin mit den Zeilen? In den Augen der Literaturkritik, namentlich der deutschen, gilt er als eine Art Heftchenschreiber minderen kulturellen Anspruchs, die Fans amerikanischer Hardboiled-Romane nehmen ihn aber auch nicht ernst.Die Gründung einer Art Selbsthilfegruppe war also schon 1986 Gebot der Stunde: Das "Syndikat" war geboren, ein Zusammenschluß von deutschsprachigen Autoren, Lektoren, Redakteuren und vielen anderen, die mit dem Thema zu tun haben - heute sind es knapp 200, davon etwa 40 aus der DDR.Und statt einer Mitgliedervollversammlung findet alljährlich die "Criminale" statt, eine Reihen von Lesungen und anderen Veranstaltungen, diesmal in Berlin.

Horst Bosetzky (-ky), der wahrscheinlich erfolgreichste dieser Autoren und Sprecher des "Syndikats", schreckt vor keiner Selbstironie zurück.Man sei gewissermaßen eine Art "Krimizüchterverein", sagte er gestern vor der Presse, dessen Funktion auch darin bestehe, sich gegenseitig zu beraten, "wie man umgeht mit nicht so netten Verlegern und nicht so netten Vertretern des journalistischen Gewerbes".Das scheint ein heikler Punkt zu sein, denn wenn es Journalisten wagen, die erwartete Solidarität zu verweigern und einen Verriß zu schreiben, finden sie anderntags schon mal ein erbostes Fax des Autors in der Post.Eigenartigerweise meint Bosetzky, deutsch werde in dieser Sparte draußen gleichgesetzt mit "biedermeierlich-langweilig, dumpf und zumindest präfaschistoid".Dabei gebe es doch "wahre Orgien an multikulti, Frauenpower, Hedonismus, Anarchismus und was an -mus noch so sein muß, damit man als Gutmensch angesehen wird."

Das ist ja gerade das Schlimme.Während die angelsächsischen Autoren Themen setzen und ganze Genres wie die Polit- oder Gerichtsthriller weltweit dominieren, neigen die deutschen zur Nabelschau.Irgendjemand muß sich doch für meine Probleme interessieren, wenn ich nur einen Krimi draus mache! Wieder Bosetzky: Zahllose Autorinnen hätten Romane geschrieben, in denen Frauen in möglichst ironischer Form ihren Mann umbringen, "das hat den deutschen Krimi getragen in den letzten zehn Jahren".Es gibt Ärztekrimis von Ärzten, Justizkrimis von Rechtsanwälten und - die wahrscheinlich abschreckendste Kategorie - Politkrimis von Politikern.Ein anderes, neueres Genre sind die Romane, in denen abgewrackte, versoffene Journalisten eine Leiche im Auto finden und anschließend von der Russen-Mafia durch Berlin gehetzt werden.

Es stellt sich halt, wie so oft, die Frage der literarischen Qualität.Als der deutsche Kriminalroman Ende der sechziger Jahre in den Romanen von Hansjörg Martin, Irene Rodrian oder Richard Hey eine eigene Sprache entwickelte, standen diese Romane allein und praktisch konkurrenzlos da.Heute sind es nicht nur die knapp zweihundert Syndikats-Mitglieder, die mit ihren Büchern auf den Markt drängen und sich gegenseitig die Leser wegnehmen, sondern auch viele ungebundene Autoren - zwangsläufig muß vieles davon bestenfalls zweitklassig sein.Wolfram Göbel vom Ullstein-Verlag, der in seiner wieder aufgeblühten "Gelben Reihe" viele deutsche Krimi-Autoren pflegt, hat immerhin einen Hoffnungsschimmer geortet: Es gebe Anzeichen für eine "ganz, ganz leichte Tendenz" in der Richtung daß auch beim Geschäft mit US-Bestsellern der Höhepunkt überschritten sei.

Eingermaßen verläßlich ist wohl die Auswahl, die Juroren aus dem "Syndikat" selbst treffen und mit dem "Glauser" auszeichnen, einem Preis, der mit 10 000 Mark "in kleinen, gebrauchten Scheinen" dotiert ist.In diesem Jahr erhält ihn Robert Hültner für seinen Roman "Die Godin"; Michael Molsner wird mit dem Ehren-Glauser für sein Lebenswerk ausgezeichnet.Neu ist der "Emil", ein Preis für spannende Kinderbücher in der Tradition von Kästners "Emil und die Detektive".Er geht an Andreas Schlüter für das Buch "Kinderbande Rattenzahn".Die Preisverleihung findet stilgerecht in der Tiefgarage des Kulturkaufhauses Dussmann in der Friedrichstraße statt, das die "Criminale" ebenfalls unterstützt.

Die Kooperation mit dem Ullstein-Verlag hat in diesem Jahr auch eine muntere Anthologie mit Kurzgeschichten überwiegend aus und über Berlin erbracht, "Der Bär schießt los".Sie enthält 25 Stories beispielsweise von Regula Venske, Hansjörg Martin, Peter Zeindler und -ky (Hrsg.: Karl-Michael Stöppler, 14,90 DM).Für Leser auf der Suche nach einem Autor dürfte aber die große Zahl von Lesungen am interessantesten sein, die von heute bis zum 26.September durch die Stadt geht.Hinzu kommen Rundgänge zu kriminalhistorisch interessanten Orten, Veranstaltungen in Schulen, und sogar in der JVA Tegel ist eine Veranstaltung geplant.Das Leitmotto ist einfach zum Schießen: "Berlin blut gut".Gequälte Kalauer wie dieser sind glücklicherweise eine Ausnahme in der Arbeit des "Syndikats".

Mord und Totschlag: Eine Criminale-Auswahl

Rock and Crime: Horst Bosetzky, Hartmut Mechtel, Sunsxt Orange, Theater o.N., Kollwitzstraße 53, 18.9., 20 Uhr

Lesungen: Thea Dorn, Marion Schwarwälder, Horst Eckert, Horst Bosetzky, Jan Eik, Humboldt Bibliothek, Karolinenstrasse 19, 19.9., 20 Uhr

Lesungen: Gerhard Feix, 12 Uhr; Kurt Lanthaler 14 Uhr; Jürgen Ebertowski 16 Uhr; Steffen Mohr 17 Uhr; Birgit H.Hölscher 19.30 Uhr; Michael Butow 21 Uhr; Kultur-Kaufhaus Dussmann, Friedrichstraße 90, 21.9.

"Der Bär schießt los": mit Regula Venske, Jürgen Ebertowski, u.a., Kultur-Kaufhaus Dussmann, Friedrichstraße 90, 23.9., 19.30 Uhr

Mordsweiber-Lesungen: mit Regula Venske, Sabine Deitmer, Elvira Willems, Tatjana Kruse, Gabriele Korn Steinmetz u.a., Kino im Heimatmuseum, Turmstraße 75, 25.9., 20 Uhr

Nacht der harten "Jürgen": Jürgen Alberts, Jürgen Ebertowski, Arne "Jürgen" Blom, Jürgen Kehrer, Hotel Adlon, Unter den Linden 77, 25.9., 22 Uhr

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