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Kultur: Das Tier in dir

Eine

von Marius Meller

Nicht nur Braunbär Brunos Tod haben wir noch nicht so recht verwunden, jetzt müssen wir uns auch noch um eine posthume Tier-Tragödie sorgen. Der Installationskünstler Damien Hirst, einer der in den neunziger Jahren überaus erfolgreichen „Young British Artists“, hatte als Auftragswerk für den Sammlermogul Charles Saatchi einen vier Meter langen Hai, den er vor der australischen Küste fangen (und töten) ließ, in ein schneewittchenartiges Glasbecken eingelegt, umspült nicht von moderner High-Tech-Chemie, sondern vom guten alten Formalin, das wir von Gruselpräparaten aus Pathologiesammlungen und Panoptiken kennen. Der Haifischfang und der Transport nach Old Europe kosteten den Künstler 6000 Pfund, ein Hedge-Fonds-Manager, ein Geldhai, kaufte das für seinen Berufsstand emblematische Konstrukt für umgerechnet 12,5 Millionen Dollar.

Aber: Nun löst der Hai sich auf. Nicht in nichts, sondern in eine trübe, faserige Brühe. Und Zähne sind ihm auch schon ausgefallen, liegen am Grund des Bassins. Der Künstler erklärte sich bereit, einen neuen Hai, sozusagen ein Hai-Update, in den Bottich zu implementieren, und erstickte so eine Debatte über die Frage, was ein Original sei, im Keim. Aber die Tierschützer meinen – naturgemäß –: wieso ein Tier für die Kunst töten? Und das zum zweiten Mal?

Der Hai soll den Kunstliebhaber zum Nachdenken bringen, und zwar ganz, ganz tief, ganz metaphysisch. Hirst hatte seiner riesigen Fisch-Terrine den Titel: „The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living“ gegeben; die offizielle Übersetzung lautet „Die physische Unmöglichkeit des Todes in der Vorstellung eines Lebenden“. Haben Tiere eine Seele? Haben sie eine unsterbliche Seele? Wird eine zukünftige Menschheit einmal unser rabiates Verhältnis zu unseren tierischen Mitwesen als barbarisch geißeln? Der vegetarisch lebende Jungpopstar Jens Friebe dichtet in seiner Tierschutzhymne: „Es gibt Öl, es gibt Milch, es gibt Brot und es gibt Wein / Und an der Theke mit den Toten kaufst du ein.“

Die Kirchenväter sind in diesen Fragen sehr kontroverser Ansicht. Der Häretiker Origines (185 –254) entwickelte eine Stufenlehre des Seins, nach der Tiere auch Seelen haben, aber einen Tick weniger entwickelte als Gott ebenbildliche Menschen. Eine Studie hat jüngst erwiesen, dass auch Mäuse Mitgefühl für leidende Artgenossen haben, die sie kennen. Für welche, die sie nicht kennen, weniger, ganz wie bei uns Menschen. Und die „BZ“ berichtete von einem Schimpansen, der angeblich zwei Schachteln Zigaretten pro Tag rauchte, sich das glücklicherweise abgewöhnen konnte, allerdings daraufhin zu trinken angefangen haben soll.

Spätestens dieser Affe beweist die Beseeltheit der Tiere, wenn auch noch nicht ihre Gottebenbildlichkeit.

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