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Kultur: Das traurige Tier in dir

Philip Roths „Der menschliche Makel“ erzählt von den intellektuellen und erotischen Abgründen eines Literaturprofessors. Nun ist sein Roman mit Anthony Hopkins und Nicole Kidman verfilmt worden

Die präziseste Beschreibung des Vorgangs, den man das Altern nennt, verdanken wir Oscar Wilde: „Die Seele wird alt geboren und verjüngt sich, das ist die Komödie des Lebens. Und der Leib wird jung geboren und altert. Das ist die Tragödie des Lebens.“

Philip Roth ist unter den Autoren der Gegenwart derjenige, der sich dieser Dialektik mit besonderer Inbrunst widmet. Buch für Buch, Roman für Roman. Es geht ihm um den Spezialfall des männlichen Alterns, vorzugsweise bei Trägern herausragender Intelligenz. Sein letzter Roman heißt ohne Umschweife „Das sterbende Tier“, so weit wollte der Vorgängerroman „Der menschliche Makel“ noch nicht gehen. Robert Benton hat ihn nun verfilmt.

Coleman Silk, Literaturprofessor und Dekan am Athena-College in Massachusetts, ist ein typischer Roth-Protagonist. Er ist von herausragender Intelligenz – und ebensolcher Arroganz. Beides verknüpft sich höchst unheilvoll, als er wegen einer missverständlichen Bemerkung Opfer einer Hexenjagd wird und seine Stelle verliert. Und dann stirbt auch noch seine Frau. Sogar die Affäre mit der Putzfrau des Colleges ist letztlich eine mühevolle Suche des Helden nach sich selber. Der „menschliche Makel“, den Silk so lange verborgen hat, ist nur ein Fleck auf dem Weg zur Wahrheit.

Der Unterschied zwischen Buch und Film liegt darin, dass man im Roman vor allem die quicklebendige, schöne, hochintelligente Seele ihres Trägers vor sich hat, im Film aber hauptsächlich ihren Träger selbst. Also einen alten Knochen. Das ist ein ziemlicher Unterschied. Wer fällt einem ein bei „alter Knochen von herausragender Intelligenz mit sich unaufhörlich verjüngender Seele“? Anthony Hopkins. Und Hopkins ist in der Tat das Ereignis dieses sehr zwiespältigen Films. Wie er es schafft, alle anderen uralt aussehen zu lassen, gerade die Alten mit den jungen Körpern. Besonders die Akademiker, die schon konstitutiv alt sind. Weil sie der These anhängen, dass ein messerscharf geschliffener Geist und alles Weltwissen in einem Kopf Äußerlichkeiten wie Jugend nicht nötig hat. Der Geist – und diese Utopie ist von ihm nicht ablösbar – ist alterslos.

Aber die Rache der Dummen kann furchtbar sein. Vor allem die der Halbdummen. Verloren ist, wen der Vorwurf rassistischer Diffamierung trifft – egal, wie gut er sich verteidigen kann. Ja, wenn er sich gut verteidigt, umso schlimmer. Von dieser Dialektik ahnt Literaturprofessor Coleman Silk noch nichts, als er sich mit der scheinbaren Unangreifbarkeit des überlegenen Geistes wehrt. Hopkins ist die Inkarnation eines Menschen, der sich in der Mitte einer Gegenwart wähnt, aber die ist schon seine Vergangenheit. Nur wird er noch lange brauchen, dies zu begreifen.

Was bleibt ihm? Natürlich: Er könnte seine Biografie schreiben lassen, von diesem Autor am See, dem Roth-Alter-Ego Nathan Zuckerman (Gary Sinise) – so wie alle, die eine Vergangenheit, aber keine Zukunft mehr haben. Und außerdem gibt es da etwas in Silks Vergangenheit – das mögen ruhig andere herausfinden. Dass da noch etwas ist, was an die Oberfläche drängt, darf als der eigentliche Plot des Films gelten. Wir werden ihn nicht verraten, nur soviel: Er wirkt zu konstruiert, um die beabsichtigte reinigende Wirkung einer großen Schluss-Wahrheit zu entfalten. Im Gegenteil, „Der menschliche Makel“ steckt in seinem Plot-Korsett fest.

Und man kriegt so schlecht Luft in Korsetts. Das betrifft sogar die Liebesgeschichte – und kommt auf sie nicht alles an? Eine junge Frau mit dunklem Punkt in der Vergangenheit (Nicole Kidman) trifft auf alten Mann mit dunklem Punkt in der Vergangenheit. Schon zwei dunkle Punkte: ein bisschen viel. Obwohl wir natürlich begreifen, dass die Rätselhaften sich anziehen. Aber wie sie das tun, ist viel wichtiger, ist reine vergangenheitsvergessene Gegenwart. Allein die Tatsache, dass die Frau jung ist, gibt ihr eine ungeahnte Macht. Und die entmachtet ihn. Hopkins verfolgt diese Ohnmachten bis in die Bruchteile eines Blicks und die nichtberührenden Berührungen. Noch kann er sich wehren. Kann man sich gegen Seelenverjüngung wehren? Hopkins spielt auch sie. Ohne jeden Anflug von Peinlichkeit.

Nicole Kidman dagegen spielt eine alte Seele. Schwer zu sagen, ob diese Liebe ihr mehr als eine Nachlässigkeit ist. Kidman scheint den ganzen Film neben sich zu stehen – und man weiß nicht recht, ob das ihre Rolle ist oder sie selbst.

In Berlin in den Kinos Cinemaxx Potsdamer Platz, Cinestar Hellersdorf, Filmkunst 66 Kino, Kulturbrauerei, Kosmos, Zoo Palast, Babylon (OmU), Cinestar im Sony Center (OV)

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