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Händen“. Isabelle Huppert mit Sandrine Bonnaire 1995 in „Biester“.Fotos: picture alliance, defd (2)

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Kultur: Das unbestechliche Auge

Sittenbildner, Ironiker, Regisseur der Frauen: Zum Tod des großen französischen Filmemachers Claude Chabrol

Früher steckten seine kleinen, listigen Augen hinter dicken Brillengläsern. Mitte der Neunziger war Schluss damit, der graue Star wurde ihm wegoperiert. Das Eifersuchtsdrama „Die Hölle“ hatte er gewissermaßen noch halbblind gedreht; der erste Film, den er doppelt sehenden Auges realisierte, war „Biester“. Vielleicht ist es deshalb Claude Chabrols freundlichster Thriller geworden und sein unbarmherzigster dazu: Nicht die Bourgeoisie ist darin monströs, sondern es sind die Verhältnisse. Isabelle Huppert und Sandrine Bonnaire spielen zwei Haushälterinnen, die ihre schrecklich nette Herrschaft gnadenlos niedermähen. Aus Scham: Eine von ihnen ist Analphabetin.

Als „Biester“ 1995 in Venedig uraufgeführt wurde, saß Chabrol lachend auf der Hotelterrasse und erzählte von dem Riesenrespekt, den er vor seiner Haushälterin hat. Und davon, dass er nicht an Psychologie glaubt, sondern an Pathologie. Er steckte an mit seinem Witz, seiner Fähgikeit, sich die Fröhlichkeit zu bewahren, trotz seines unbestechlichen Blicks auf die Welt. So war es bis zuletzt, als er sich auf der Berlinale 2006 und 2009 auf dem Podium mit seiner Lieblingshauptdarstellerin Isabelle Huppert kabbelte und dem Affen grinsend Zucker gab. Ein Meisterdetektiv und Trickbetrüger mit brillanter Sehschärfe und beißendem Esprit, der sich augenzwinkernd als Clown tarnte.

Claude Chabrol, einer der letzten großen Regisseure der Nouvelle Vague, ist tot. Erst am 24. Juni war er 80 geworden. Rivette und Resnais sind noch da, auch Jean-Luc Godard, der selber bald 80 wird und dem Filmfest Cannes dieses Jahr eine Flaschenbilderpost schickte. Die anderen nicht mehr, Truffaut und Rohmer, mit denen Chabrol als Kritiker bei den „Cahiers du Cinéma“ anfing (und ein Buch über Hitchcock schrieb), Eigentlich hatte der Pariser Apothekersohn Pharmazie und Literaturwissenschaft studiert – um für den Rest seines Lebens Filme zu drehen. Seit seinem Debüt von 1958, „Die Enttäuschten“, und dem Berlinale-Sieger „Schrei, wenn du kannst“ ein Jahr darauf sind es fast 60 Produktionen fürs Kino geworden und 20 fürs Fernsehen.

Ein Workaholic, der das Genre mehr liebte als das Experiment. Ein Genre setzt Grenzen, und es ging ihm ja immer um Gefangene ihrer Klasse, ihres Dünkels, ihrer Benimmregeln, um Menschen unter Druck, um die Druckkammern des Groß- und Kleinbürgertums. Das lässt sich in einem festen Rahmen besser erzählen. Das Grauen, das in Stilmöbeln und sonnengelben Interieurs nistet oder besser: die Grausamkeit, die in der Sittsamkeit steckt, das war sein Thema. Chabrol, der große Moralist, der Dialektiker der Aufklärung in Frankreich und im alten Europa.

Seine bevorzugte Einstellung: die kühle, manchmal auch schreckstarre Distanz. Die Kamera entfernt sich und mutet dem Publikum zu, es mit dem Gesehenen fortan allein auszuhalten. Dennoch war sein Blick nie der eines ungerührten Insektenforschers, sondern der „eines Kindes, das Insekten in einem Glaskäfig hält und abwechselnd staunend, erschrocken oder lustvoll die merkwürdigen Verhaltensweisen seiner Tierchen betrachtet“, wie Fassbinder einmal bemerkte. Das gilt für Chabrols frühe moralische Geschichten aus der Pompidou-Ära rund um „Die untreue Frau“ genauso wie für seine späteren Literaturverfilmungen, Psychogramme, pechrabenschwarzen Komödien und auch noch für „Geheime Staatsaffären“ von 2006, in der Isabelle Huppert als Staatsanwältin die Erotik der Macht gegen die Strippenzieher der Politik auszuspielen versucht.

Chabrolesk, das ist ein Film mit einer Krimihandlung, in der alles offen zutage liegt und jeder hinters Licht geführt wird, das Publikum eingeschlossen. Chabrolesk sind Sujets wie Gier, Lüge, Heuchelei, Eifersucht, Ehebruch und Korruption – die „Chabrol’schen Todsünden als Phantome des Banalen“, wie Helmut Merker im Tagesspiegel schrieb. Chabrolesk sind die Familienclans, die die kleinen Perversionen und großen Schweinereien im Kreise der Lieben hinter der Maske der Wohlanständigkeit kaschieren. Chabrolesk sind die Tafelrunden, bei denen vorzüglicher Braten und erlesener Wein auf feinem Damast kredenzt wird, während in der Tischrunde die Messer gewetzt werden und mörderische Sätze fallen – im wirklichen Leben war Chabrol ein Gourmet. Chabrolesk, das ist Regie als Intrige: „Das Leben ist ein Spiel“ (1998) sei sein autobiografischster Film, sagte er selbstironisch, zieht darin doch eine verführerische Hochstaplerin (Huppert) den Leuten unmerklich das Geld aus der Tasche. Auch eine Art, den eigenen Beruf ins Bild zu setzen.

Allein die Titel. „Das Biest muss sterben“, „Der Schlachter“, „Blutige Hochzeit“, „Die Farbe der Lüge“, „Süßes Gift“. Sie zeugen von Chabrols Liebe zum Thriller und dienen der Selbststilisierung als kalter Analytiker, Monsterzoodirektor und Sadist. Ein Täuschungsmanöver: Wie der geistreiche Chabrol sich gern als Clown tarnt, so verbirgt sich hinter dem Richter Gnadenlos ein Anwalt der Frauen.

Nicht jeder seiner Filme ist ein Meisterwerk; Chabrol war auch ein verlässlicher Routinier – eine leider aussterbende Spezies. Aber zu dem Schatz, den er dem europäischen Kino hinterlässt, gehören seine Frauenbildnisse, wie es sie sonst nur von Bergman und Antonioni gibt. Die geheimnisumwitterte Stéphane Audran, mit der er 16 Jahre verheiratet war, in über 20 Filmen. Romy Schneider in „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“. Nathalie Baye als von Familiengeheimnissen bedrängte Politikerin in „Die Blume des Bösen“. Marie Trintignant als Trinkerin, in der erschütternden Simenon-Verfilmung „Betty“. Und vor allem Isabelle Huppert, die mürrische, unnahbare, kapriziöse, himmlisch irdische Huppert, als drangsalierte Giftmischerin in „Violette Nozière“, als Engelmacherin in „Eine Frauensache“, als „Madame Bovary“, als Analphabetin oder Staatsanwältin. Den betrogenen Betrügerinnen galt Chabrols Zuneigung, bei aller Koketterie mit dem monströsen Charme der Bourgeoisie. Für die bezwingend Unbezwinglichen, die Unverstandenen, die sich am Ende von einer Männergesellschaft verraten sehen, entwickelte er Solidarität, ja eine spröde Zärtlichkeit.

Zwar könnte es sein, dass sie eines Tages zu Monsieurs Jagdgewehr greifen, wie die Hausmädchen in „Biester“. Aber Chabrol verurteilt sie nicht. Die Rache der Frauen ist zum Fürchten, aber seine Filme sagen beharrlich: Es geht darum, sie zu verstehen. Claude Chabrol ist tot, am Sonntag ist er in Paris gestorben. Seine Komplizenschaft wird genauso fehlen wie sein unbestechlicher Blick.

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