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Kultur: Das verriegelte Schloss

Wo bitte geht’s zur Romantik? „Rohkunstbau“ in Groß Leuthen

Hoch über dem See im unteren Spreewald ragt das Wasserschloss Groß Leuthen auf. Ein Herrenhaus in atemberaubendem Stilmix: Die Grundmauern gehen auf das 13. Jahrhundert zurück, daneben versammelt es Elemente von Renaissance, Barock, Historismus und Jugendstil. In seinem morbiden Zwischenstadium bildet der Genius Loci einen kongenialen Rahmen für junge Künstler. Im neunten Jahr der Ausstellungsreihe „Rohkunstbau“ ist das von Arvid Boellert kuratierte Projekt Teil der brandenburgischen „Wege zur Romantik“. Wenngleich sich die elf Künstler aus vier Nationen nicht direkt auf die historische Epoche beziehen, riskieren sie doch eine kritische Hinterfragung der Romantik in der Gegenwartskunst.

„Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so tief da unten?“ Der Raum von Alexander Braun gemahnt an Joseph von Eichendorff: „Silling“ zeigt eine Landschaft mit winzigen Filztannen, Spanholzgebirge und Schloss, und in einem Video spielt ein kleines Mädchen mit einem Filzskelett. Doch das Schloss ist verriegelt, und der Schlüssel liegt im Titel, der auf das Palais Silliny aus de Sades „Die 120 Tage von Sodom“ anspielt.

Valery Koshlyakov hingegen bedient das romantische Klischee. Zeichenhafte Reminiszenzen an historische Bauwerke verarbeitet der Moskauer Künstler mit schlichten Materialien: Mülltüten werden zu leger drapierten Bildträgern, Linien und Konturen sind mit handelsüblichen Klebestreifen gezogen. Die Konfrontation von Geschichte und Vergänglichkeit sowie die radikale Marktverweigerung taucht Koshlyakov leider in süßliches Schwarzlicht, das den Blick verklärt. Dazu nimmt sich Jörg Herold wie ein Antipode aus, der trotz seines formal reduzierten Videos einen der anrührendsten Beiträge zur Ausstellung liefert.

„Engel jagen“ fokussiert Insassen eines Heims für Straßenkinder in Venezuela. Die Brisanz und die gelungene Transformation von dokumentarischem zu künstlerisch dichtem Material zielt mitten in die Geschichte des Ausstellungsortes, der zu DDR-Zeiten ein staatliches Kinder- und Jugendheim beherbergte. Während Franziska Henning und Jonas Burgert strukturelle Eigenheiten des Ortes widerspiegeln und Steffen Mühles Musikzimmer das Ortsspezifische listig und sinnenhaft umdeutet, lassen Thomas Virnichs Skulpturen den reizvollen Raum völlig unberührt. Dabei bietet das Gebäude mit seinem stilistischen Patchwork auch ein Synonym für die Ausstellung: genreübergreifend stehen Malerei (Jaroslaw Modzelewski, Cameron Rudd) und Installation (Jan-Peter Sonntag, Frank Herrmann) neben Skulptur und Video. In der Podiumsdiskussion zur Eröffnung machte Tagesspiegel-Redakteurin Nicola Kuhn diesen Pluralismus auch im Werk von Alexander Braun aus. Die in der Romantik wurzelnde „Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit und Freiheit“ (Friedrich Meschede vom DAAD) sieht Braun als Chance: „Da Gattungsbegriffe obsolet geworden sind, rücken inhaltliche Aspekte wieder in den Vordergrund.“

Roland März, Kustos der Neuen Nationalgalerie, sieht hingegen in der Arbeit des Dortmunder Künstlers nur eine „additive Laubsägearbeit“, kommentarbedürftig und ohne Aura. Doch bereits in Caspar David Friedrichs „Das Kreuz im Gebirge“ erkannte dessen Zeitgenosse Friedrich von Ramdohr nur „das schauderhafte Vorgesicht der schnell heraneilenden Barbarei“. Zum Bedauern des Publikums ging der Kunststreit vorzeitig im Gewitter unter, das jedoch mit Blitzen auf dem See noch einmal der romantischen Magie des Ortes huldigte. Michaela Nolte

Schloss Groß Leuthen/Spreewald, bis 31. August; Mo–Fr 16-19 Uhr; Sa und So 13-19 Uhr. Der Katalog kostet 10 Euro

Informationen unter www.rohkunstbau.de

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