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Kultur: Das weiße Rauschen

Mozart und Muppetshow: Peter Konwitschny inszeniert die „Zauberflöte“ an der Stuttgarter Staatsoper

Es geht viel leichter, als man denkt. Wenige Einstellungen nur – hier ein schaler Gag, da ein ratloses Stochern in Schikaneder’schen Wortwörtlichkeiten, dort eine kleine Rüpelei gegen die Rezeptionsgeschichte – und schon findet man sich auf der falschen Seite wieder. Bei den Nölern und Nörglern nämlich, bei denen, die zwar auch nicht wissen, wem oder was Mozarts „Zauberflöte“ überhaupt jemals etwas gewesen sein soll, die sich aber ganz sicher sind, dass es so nicht geht. Bei denen, die an diesem Abend nichts zu lachen haben, allem circensischen Bühnenbemühen zum Trotz. Und bei denen, die nach dreieinhalb Stunden nicht etwa klüger, berückter, ja bezauberter in die regenschwere Nacht entfliehen, sondern irgendwie bloß dümmer, ärmer, kränker, kümmerlicher und der nächsten Illusion beraubt. Ein scheußliches Gefühl. Eines, für das man sich schämt, zuallererst und tief im Inneren vor sich selbst.

Peter Konwitschny inszeniert an der Staatsoper Stuttgart Mozarts „Zauberflöte“, und das allein genügt schon für den großen Hype. „Skandal! Skandal!“, wispern die Latrinen, „genial, genial“, raunen die Beteiligten, und auch das Publikum hat sein Urteil im blinden Vertrauen auf die Ereignishaftigkeit längst gefällt: Die nächsten Vorstellungen sind bis in den April hinein ausverkauft. Nun ist die „Zauberflöte“ seit jeher ein Kassenschlager und wird dies – da mag das Musiktheater im postbürgerlichen Zeitalter so überflüssig und untauglich sein, wie es will - gewiss noch eine ganze Weile bleiben. Die krude Mischung des Stücks aus Märchen und Mysterium, aus Muppetshow und Machwerk, sie scheint unverwüstlich. Und auch wenn sich kaum ein Operngänger an glückhafte, wirklich gelungene „Zauberflöten“ erinnert (Felsenstein? Harry Kupfer? Everding in Schinkels Original-Kulisse? Ruth Berghaus in Frankfurt? Ingmar Bergman im Film?) – am Ruf des Klassischen, Menschheitsrätsel Hütenden und Bewahrenden ist hier nicht zu rütteln. Eine Tradition, die sich, stellvertretend für viele andere, maßgeblich aus ihrem Unerfülltsein speist, aus dem systematischen Einkreisen und Verfehlen eines Kerns, den die (Musik-)Welt mit jedem neuerlichen Verfehlen mehr vermutet als kennt, mehr ahnt als weiß, mehr erhofft als tatsächlich mit Händen greift?

Indem sie niemals behauptet, mehr zu sein, als sie ist, legt Konwitschnys Stuttgarter „Zauberflöte“ zunächst viel Ehrlichkeit an den Tag. Hier schwingt sich kein Regie-Konzept auf, das verfügt, die Königin der Nacht sei böse (oder gut) und Sarastro entsprechend gut (oder böse). Hier ist nichts politisch gemeint (oder alles), hier wird keine Geschichte erzählt (sondern viele Geschichten), hier geht‘s auch nicht ums Theater, nicht um hohe oder niedere Paare, um Liebe oder Macht, sondern immer nur und vom ersten Augenblick an um die eigene nackte Verzweiflung. Diese Aufführung – und darin liegt ihr Mut – seziert, diagnostiziert und kommentiert ihr/unser Verhältnis zur „Zauberflöte“.

Das vorläufige Endergebnis: Im Grunde können wir weder mit Schikaneders Betulichkeiten noch mit Mozarts hoch artifizieller, montierter Musik heute noch irgendetwas anfangen. Dumpf und tumb glotzen wir in einen nahezu leeren „Zauberflöten“-Guckkasten hinein (Ausstattung: Bert Neumann), und tumb und dumpf glotzen Aufführung und Stück zurück. Opernvollzug um des Opernvollzuges willen. Als Erkenntnis mag das einerseits nicht ganz neu, andererseits aber durchaus wertvoll sein, weil kritisch und nicht zuletzt selbstkritisch, ehrlich, wie gesagt, und auch: grausam.

Vom theatralen Erleben und Berührtwerden her aber ist die Aufführung ein Desaster. Nie hat man so wenig fürs Herz gekriegt bei Mozart, noch nie so erbärmlich wenig mitgelitten mit den Verwerfungen, den grellen Ekstasen und gründelnden Todessehnsüchten seiner Figuren. Und so keimt denn ein noch viel schlimmerer Verdacht: Vielleicht zeigt Peter Konwitschny uns hier ja – indem er beispielsweise aus der Schlange („Zu Hilfe! Zu Hilfe!“) einen zusammengerollten Perserteppich macht und aus der Königin der Nacht eine Säuferin, indem er zur Bildnis-Arie Lady Di‘s Hochzeit über eine Leinwand flimmern lässt und die Priester kurzerhand in Priestergewänder steckt – die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Dass es in der „Zauberflöte“ nämlich gar nichts zu deuten und also auch gar nichts zu verstehen, nichts romantisch zu erfühlen gibt, wenigstens nichts Übergeordnetes und also: Meta-Physisches. Dass das Ganze bloß ein Popanz ist, Stückwerk und Sammelsurium unserer abendländischen Sentimentalität (die Entstehungsgeschichte ließe hier Schlüsse zu). Dann freilich wäre diese Aufführung tatsächlich so, wie das Leben ist: Mal guckt man hin, mal wieder weg, mal fährt eine Zuschauertribüne herein, mal ein Lamettavorhang herunter, mal schreit ein digitales Display „APPLAUS!“, und irgendwie erzeugen diese Heterogenitäten doch nichts anderes als ein lautes weißes Rauschen. Wer das Stück nicht kennt, wer Konwitschnys Lustigkeiten und doppelte Böden nicht zurückbinden kann auf die geradezu stoische Einfalt des Stücks, dem geht in diesem Puzzle jedes Bezugwerk verloren. Mozart für Eingeweihte, letztlich, leider.

Auch musikalisch spricht der Abend keine wesentlich andere Sprache. Gesungen wird hoch respektabel, vor allem in den kleineren Partien, den (dreifach verschieden besetzten) Knaben, den Damen und Geharnischten. Barbara Baier ist eine viel versprechende, nicht immer ganz intonationssichere Königin, Alexandra Reinprecht in schwarzen Jeans eine stimmlich fast zu schwere, aber interessante Pamina. Johan Weigels Tamino glaubt man den Spießer weit mehr als den Liebhaber, Attila Jun ist Sarastro, Irena Bespalovaite die junge Papagena (von einem rührenden alten Double gekontert), Michael Austin – mit viel Schuhcreme im Gesicht – der Mohr Monostatos. Ausgezeichnet: Rudolf Rosen als Papageno, ein kerniger, witziger Darsteller mit einem Timbre buchstäblich wie aus Samt und Seide. Lothar Zagrosek am Pult des (hoch gefahrenen) Württembergischen Staatsorchesters gab zwar die Ouvertüre ganz à la historische Aufführungspraxis, mit Bäuchen und Akzenten und einer holzschnittartig rohen Klanganmutung, besann sich des Weiteren aber eher auf einen flotten, leichten, im besten Sinn: nicht bedeutungshuberischen Ton.

Ein paar Szenen indes widerstehen der masochistischen Zentrifugalkraft des Abends. Wenn die erste Arie der Königin der Nacht gefilmt wird, und man plötzlich unterm Kehlkopfspiegel sieht, wie erotisch ihre Stimmlippen sich öffnen und schließen; wenn zu Taminos „Wie stark ist nicht dein Zauberton“ lauter liebe Stofftierchen die Szene bevölkern und paarweise Unzüchtiges tun; und wenn Papageno in rosa Strumpfhosen und strassbesetztem Body mit „Ein Mädchen oder Weibchen“ eine Stefan-Raab-reife, rhythmisch beklatschte Nummer abzieht. Man muss dies alles nicht mögen und darf es gewiss auch unanständig finden. Hier aber legt Konwitschny den Finger in die Wunde. Wie weit ist es mit unserer Liebe nicht nur zu Mozart, nicht nur zur Oper gekommen, fragt er, wenn nur noch die schnelle Nummer, die flapsigste, flüchtigste Lösung gilt? Und vielleicht fragt er sich das ja auch selbst.

Christine Lemke-Matwey

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