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Kultur: Das Wir protestiert

Eine Solidaritätsaktion der Philharmoniker gegen Kulturabbau in der Provinz.

Gabor Tarkövi schmettert das Trompetensignal aus Beethovens „Fidelio“ in den sonnigen Berliner Herbsthimmel. In voller Orchesterstärke sind die Berliner Philharmoniker vor ihrem Stammhaus aufmarschiert. Bevor sie an diesem Morgen ihre Probe beginnen, halten sie draußen vor dem Künstlereingang Plakate in die Höhe, auf denen der Slogan zu lesen ist: „Orchesterland Deutschland. Einzigartig. Erhaltenswert.“ Von der Bühne haben sie zwei Trommeln heruntergeschleppt, um ordentlich Wirbel zu machen. Orchestervorstand Ulrich Knörzer verliest eine Petition.

Darin geht es um jene Kollegen, deren Arbeitsplätze gefährdet sind. Fast ein Viertel der weltweit aktiven Profiorchester musiziert in Deutschland, 168 staatlich finanzierte Ensembles gab es vor 20 Jahren, derzeit sind es noch 131. Mindestens elf von ihnen sind derzeit akut von Kürzungsplänen bedroht. Weil beispielsweise der Trierer Oberbürgermeister dem Stadttheater eine Million Euro streichen will, weil der SWR-Rundfunk beschlossen hat, aus seinen beiden Orchestern eines zu machen, weil an den Bühnen in Halle und Dessau Sparten geschlossen werden müssen, wenn das sachsen-anhaltinische Parlament die Pläne der Landesregierung billigt, die Theaterzuschüsse ab 2014 um sieben Millionen Euro zu kappen – ohne dass der SPD-Kulturminister Stephan Dorgerloh diese Kahlschlagmaßnahme bislang durch ein Konzept unterfüttern kann.

In Mecklenburg-Vorpommern wiederum hat sich der Kulturminister (ebenfalls von der SPD) zwar eine „Strukturreform“ von einer Münchner Unternehmensberatung erarbeiten lassen – im Klartext geht es aber auch dabei nur um Einsparungen. Wenn die verbliebenen Bühnen im Nordosten sich bereit erklären, weitere zwölf Millionen aus ihren eigenen Etats herauszuquetschen, stellt der Minister gnädig in Aussicht seine Zuschüsse ab 2020 dann wieder zu „dynamisieren“, sprich: zu erhöhen.

Die Theater in Mecklenburg-Vorpommern aber sind – wie fast alle kleinen deutschen Mehrspartenhäuser – längst am unteren Limit angekommen: Alle diese Institutionen sind echte Hungerhaken, bei denen kein Gramm Fleisch mehr übrig ist, das man ihnen noch aus den Rippen schneiden könnte.

Wenn sich Weltspitzenformationen wie die Berliner Philharmoniker also mit den Basiskulturarbeitern in der sogenannten Provinz solidarisieren, setzen sie damit ein wichtiges Zeichen. Bundesweit haben sich am Montag 100 Orchester an der Aktion beteiligt, in Berlin auch die Musiker des Konzerthauses am Gendarmenmarkt sowie des Deutschen Symphonie-Orchesters. Musiker der Staatskapelle Berlin spielten in Dessau gemeinsam mit ihren dortigen Kollegen.

Die fest angestellten Instrumentalisten haben eine starke Stimme in der Kulturszene, denn sie sind zu fast 100 Prozent gewerkschaftlich organisiert. In den fetten Jahren der Bundesrepublik hat die Deutsche Orchestervereinigung ihren Mitgliedern immer bessere Arbeitsbedingungen erkämpft – und seitdem mit zäher Ausdauer verteidigt. Darum sind die Musiker heute an den kleinen Häusern die einzigen, die noch angemessen bezahlt werden. Was in der Praxis allerdings auch bedeutet, dass die Opernsänger, die oben im Rampenlicht stehen, häufig weniger verdienen als jene, die unten im Graben sitzen. Die Mindestgage für junge Solisten liegt in Deutschland derzeit bei 1650 Euro. Brutto. Im Monat.

Dass die Orchestergewerkschaft gestern beim Tarifgespräch mit den Arbeitgebervertretern vom Deutschen Bühnenverein die Forderung erhoben hat, die Musikergehälter an das Niveau des öffentlichen Dienstes anzupassen – obwohl gerade gerichtlich geklärt wurde, dass ein derartiger Anspruch nicht besteht –, löst zumindest zwiespältige Gefühle bei jenen Theaterleuten aus, die an der Grenze zur Selbstausbeutung in den Institutionen schuften.

Mag die Kultur auch offiziell Ländersache sein – wenn es um die Lohngerechtigkeit in der weltweit so bewunderten deutschen Theaterlandschaft geht, eröffnet sich für den alten oder neuen Kulturbeauftragten der Bundesregierung ein lohnendes Betätigungsfeld. Frederik Hanssen

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