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Sprachkolumne: Das Wort als abgenutztes Bild (1)

Matthies ringt um Worte. Heute: Warum müssen Alarmglocken eigentlich immer schrillen, Herzen immer höher schlagen und Tanzbeine immer geschwungen werden? Ein Überblick über die schlimmsten Sprachbilder.

Noch nie wurde so viel geschrieben wie heute. Schneller, höher, weiter, dümmer. Weit sind wir entfernt von Franz Kafkas vorsichtiger Präzision: "Jedes Wort, bevor es sich von mir niederschreiben läßt, dreht sich zuerst nach allen Seiten um." Heute dreht sich nur noch wenig um, bevor es von gehetzten Lokalreportern oder schwatzsüchtigen Bloggern ins Orbit geschossen wird. Selbst wenn das Resultat frei von Grammatikfehlern ist, ächzt es oft unter abgenutzten Sprachbildern. Allerdings reicht das naturgegebene Biotop dieser Klischees von ganz unten bis ganz nach oben. Sie dominieren unsere Vereins- und Gemeindezeitungen ebenso wie den Tagesthemen-Kommentar, der die ARD-Nomenklatura nur zu oft beim Hantieren mit toten Sprachresten zeigt. Hier sind die fünf schlimmsten - die nächsten folgen in der nächsten Woche:

Die Alarmglocken schrillen

Gibt es heute noch Alarmglocken? Und falls ja: Schrillen sie dann? Oder ist das eher eine Eigenschaft der Alarmsirenen? Schwer zu beantworten. Wir wissen aber: Die Alarmglocken müssten schrillen. Jedenfalls in den Parteizentralen. Denn immer, wenn bei Wahlen irgendwo auf der Welt eine Partei Stimmen verliert, findet sich alsbald ein deutscher Fernsehkommentator und äußert die Vermutung, in der jeweiligen Parteizentrale müssten jetzt die, eventuell sogar alle Alarmglocken… Das Bild tritt selten allein auf, sondern in der Regel gemeinsam mit schiefen Bildern: Gern werden die Koalitionspartner ins Boot geholt, um dort an einem Strang zu ziehen, denn bei ihnen ist es bereits fünf vor zwölf, und das Licht am Ende des Tunnels noch lange nicht in Sicht. Am Ende hilft nur noch: Alle sollten sich an die eigene Nase fassen. Und dort kräftig zudrücken, damit der Luftmangel den Ausstoß weiteren Sprachmülls unterbricht.

Die Seele baumeln lassen

Es gibt sogar ein Foto dazu im Internet, veröffentlicht bei der "Geo-Reisecommunity": Das Ufer eines schwedischen Sees mit einem Steinhaufen, am Horizont Bäume, wolkiger Himmel. Drunter steht: "Hier kann man die Seele baumeln lassen." Nun ist unstrittig, dass jeder, der sich auf die Steine setzt, die Füße baumeln lassen kann, sogar im Wasser. Aber die Seele? Müsste da nicht eine Aufhängevorrichtung, eine sog. Seelenschaukel, her? Viele von uns stellen sich die Seele ja als ein graubraunes Ding vor, wie Kalbsbries, nur leichter, das zum Baumelnlassen an irgendwelche Fäden gehängt werden muss, damit es nicht runterfällt. Aber ist das wirklich angenehm? Und baumelt die Seele nicht lockerer, leichter, wenn dazu, anders als auf dem schwedischen Foto, die Sonne scheint? Ach: Kurt Tucholsky hat da mal für die Stimmung in Gripsholm ein ganz hübsches Bild ersonnen. Aber muss es nun heute auf jedes der weltweit drei Milliarden Hotelzimmer und Ferienapartments angewendet werden?

Lässt das Herz höher schlagen

"Da schlagen Fotoherzen höher" teilt uns Canon in seiner Presseinformation zur neuen Kamera EOS 550D mit. Fotoherzen! Also keine Enten-, Hunde- oder Altmännerherzen, sondern Fotoherzen, offensichtlich etwas, was in diesen neuen Digitalkameras steckt und schlägt, höher, schneller, weiter. "Schlag höher!" sagt auch Vitali Klitschko zu seinem Bruder Wladimir, aber er meint damit das Kinn des Gegners, und das ist nicht ganz im Sinne des populären Klischees. Es setzt voraus, dass jemand etwas besonders mag und angeblich mit erhöhter Herzfrequenz reagiert, wenn er es sieht, Briefmarken, Formel-eins-Rennwagen, Diddlmäuse, ganz egal. Lieblingssatz: "Neuer Beta-Blocker lässt Apothekerherzen höher schlagen."

Das Tanzbein / den Kochlöffel schwingen

Das wäre der Idealfall: Dass einer, akrobatisch begnadet, mit der einen Hand das Tanzbein schwingt und mit der anderen den Kochlöffel. Bis dahin müssen wir uns mit Halbheiten begnügen. "Der Eierjokel will zu Ostern das Tanzbein schwingen", erfuhren wir dieser Tage aus Bautzen, erstaunlich, da sich der Eierjokel doch bislang stets mit dem Eierschieben begnügte. Das Tanzbeinschwingen ist ein seltsames Phänomen, denn es fügt dem schlichten Tanzen nichts hinzu außer einem doofen Bild: Da steht einer auf einem Bein und schwingt das andere, das so genannte Tanzbein, hin und her. Bis ihn drei kräftige Männer abholen kommen? Man muss sich die Entstehung des Tanzbeins wohl so vorstellen, dass einst unsere deutschsprachige Tanzberichterstatter nicht mehr immer "Tanzen" schreiben wollten und deshalb eine Lawine von Synonymen lostraten, unter der wir heute noch japsen. Denn es gibt etwas noch Schrecklicheres: "Dürener Seniorenbeirat legte eine kesse Sohle aufs Parkett". Da liegt sie nun, und wir können nur hoffen, dass niemand beim Versuch, das Tanzbein zu schwingen, drüber stolpert. Sind ja nicht mehr die Jüngsten, die kessen Sohlenleger.

Es sich nicht nehmen lassen

Wer in der Hierarchie etwas höher angesiedelt ist, der schwingt das Tanzbein nicht einfach. Sondern er lässt es sich nicht nehmen, das Tanzbein zu schwingen - der Herr Bürgermeister beispielsweise. Seltsamerweise wird dabei nie, nie die Frage beantwortet, wer ihm diese bescheidene Beschäftigung denn nehmen wolle. Ist es nicht vielmehr so, dass der Herr Bürgermeister höchst widerwillig zum Ball der Heiterwanger Schausteller gekommen ist und nicht mehr fürchtet, als mit der dicken Gattin des Schaustellerpräsidenten den Eröffnungstanz absolvieren zu müssen? Und muss er sich nicht verhöhnt fühlen, wenn er anderntags in der Zeitung liest, er habe sich dieses schreckliche Erlebnis "nicht nehmen lassen"?

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