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Kultur: Das zersägte Model

Olivier Descosse setzt auf den ganz besonderen Thrill.

Sie braucht schöne scharfe Model-Fotos von sich, sofort, für eine Bewerbung, um schnell herauszukommen aus ihrer todlangweiligen FriseurinnenExistenz. Der Fotograf, mit dem sie die Fotos machen will, lässt sie hängen. Sie sucht sich einen anderen. Wenig später ist sie tot, ermordet, in Stücke gesägt. Kein Motiv, kein Verdächtiger, nur ratlose Ermittler in einem Steinbruch im Süden Frankreichs, durchgefroren und geschockt.

In diese Situation schickt der 1962 in Marseille geborene französische Anwalt und Autor Olivier Descosse den Kriminalpsychiater François Marchand. Was sich anfangs liest wie der übliche Serienmörder-Plot, originell nur in Details der Morde und der Macken der Ermittler, erweist sich als spannende Variante des amerikanischen Thriller-Archetyps. Descosse belastet seine Ermittler Marchand nicht bloß mit ein paar Macken, sondern mit einem veritablen Trauma. Marchands große Liebe ist einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Das hat den Kriminalpsychiater kaputtgemacht. Und es zerstört seine halbwüchsige Tochter.

Wie gehetzt erforscht Marchand das Böse, wo es in schweren Verbrechen erkennbar wird. Befeuert von Aufputschmitteln durchrast er Kleinstädte und Landschaften, in denen nichts Idyllisches mehr zu finden ist. Frankreich besteht aus Touristen-Kulissen, Industriegebieten, Internetcafés – und den düsteren Schauplätzen weiterer Morde an jungen Frauen und Männern.

Es dauert, bis Marchand Zusammenhänge zwischen drei weiteren ritualhaften Morden erkennt. Und es dauert noch länger, bis er das Profil des Täters erahnt. Das hat mit den Diskrepanzen zwischen der aktuellen Jugendkultur und dem Wissen von Popkultur und Unterhaltungsindustrie zu tun, über das ein Endvierziger heute verfügt.

Mit Sinn für die Breite und die Tiefe des Abgrundes zwischen Zwanzigjährigen und der 30 Jahre älteren Generation, die meint, das Sagen zu haben, schickt Olivier Descosse seinen Ermittler zu Internet- und Unterhaltungsüchtigen, zu Horror-Freaks und emotional Gestörten. Und immer wieder spürt man in diesem Krimi einen finsteren kulturkritischen Subtext, die Entfremdung zwischen den Generationen, ein fundamentales Unverständnis.Werner van Bebber

Olivier Descosse: Wer Böses sät.

Roman. Aus dem

Französischen von

Michaela Meßner. Blanvalet, München 2012. 477 S., 8,99 €.

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