zum Hauptinhalt

Kultur: Das zweite Gesicht

Wie sah Christus aus? Eine Ausstellung zum Weltjugendtag im Kölner Wallraf-Richartz-Museum

Einer wusste es genau: Es sei bei ihnen ein Mann erschienen, berichtet der römische Senator Publius Lentulus, der Wunder gewirkt und Tote erweckt habe. Und dann folgt eine genaue Beschreibung der Erscheinung: mittelgroß, von stattlicher Figur und ehrwürdigem Aussehen. Lentulus geht bis ins Detail: „Sein Haar hat die Farbe einer völlig reifen Haselnuss, bis zu den Ohren beinahe glatt, von da abwärts etwas gelockt über seine Schultern wallend und nach der Sitte der Nazarener in der Mitte gescheitelt. Seine Stirn ist offen und glatt, sein Gesicht ohne Falten und Runzeln, schön, von angenehmem Rot. Der Bart ist wenig stark, in der Farbe zu den Haaren passend, von nicht sehr großer Länge. Seine Augen sind dunkelblau, klar und lebhaft. Sein Körper ist wohlgeformt und straff, seine Hände und Arme wohlproportioniert.“ Kurz: „Ein Mann, durch eigentümliche Schönheit die Menschenkinder übertreffend.“

Der Brief des Lentulus ist, wie man heute weiß, eine Fälschung aus dem 14. Jahrhundert. Doch das in ihm beschriebene Christusbild ist wirksam geblieben bis in die jüngsten Christusdarstellungen etwa in Mel Gibsons „Passion Christi“. Eine faszinierende Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum unternimmt nun, anlässlich des am 16. August beginnenden Weltjugendtags der Katholischen Kirche und mit tatkräftiger Unterstützung des Vatikans, den Versuch, dem Abbild Christi durch die Jahrhunderte nachzugehen. Ein gewagter Spagat zwischen den Vorgaben der kirchlichen Leihgeber, die ausdrücklich auf die spirituelle Wirkung der Begegnung mit den Christus-Bildern hoffen, und den kuratierenden Kölner Kunsthistorikern, die sich auf ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit berufen.

Dem Thema immanent schon ist das Dilemma der Abbildung eines Nicht-Abbildbaren, der bildlichen Vereinigung von Gott und Mensch, an der nicht wenige Maler scheiterten. So zitiert Giovanni Morello, Präsident des päpstlichen „Amtes für künstlerische Aktivitäten der Kirche“, ein Drama des jungen Karol Wojtyla, „Der Bruder unseres Gottes“, das später vom polnischen Regisseur Krzysztof Zanussi verfilmt wurde. Es schildert die Mühen des (später von Johannes Paul II. heilig gesprochenen) Malers Adam Chmielowski beim Anfertigen eines Christusgemäldes. Schon eine frühe Legende erzählt von der Problematik der Darstellung: König Abgar von Edessa ist vom Aussatz befallen und schickt einen Boten nach Jerusalem, Christus möge kommen und ihn heilen. Dieser jedoch lehnt ab, und um seinem König überhaupt etwas mitbringen zu können, versucht der Bote, den Erlöser zu porträtieren. Allein, der Versuch misslingt, das Bild will nicht glücken. Christus hat ein Einsehen, trocknet sich das Gesicht in einem Tuch, und sein Abbild bleibt wundersamerweise in dem Tuch haften. Der König von Edessa sieht’s, und ist geheilt.

Das so entstandene Tuchbild, genannt Mandylion, ist eine der großen Reliquien der katholischen Kirche. Im Jahre 944 nach Konstantinopel verbracht, verschwindet das Original in den Wirren des vierten Kreuzzugs. Möglicherweise kommt es mit der Dornenkrone und anderen Reliquien in die Sainte-Chapelle in Paris, wo es in der Französischen Revolution zerstört worden wäre. Kopien jedoch kursieren in ganz Europa. Eine ganz besonders kostbare, das Mandylion von Genua, ist in der Kölner Ausstellung zu sehen – eine Leihgabe, die ohne Mitwirkung des Vatikans undenkbar gewesen wäre, ist das Mandylion in Genua doch ein hoch verehrtes Heiligtum. Ein anderes „authentisches“ Bild, das Grabtuch von Turin, ließ sich verständlicherweise nicht transportieren. In Köln zeigt man stattdessen eine Kopie aus dem 17. Jahrhundert, die der spanische Mönch Fray Juan Bautista de Strambino anfertigte: die Schemen eines nackten männlichen Leichnams mit über dem Geschlecht gekreuzten Armen und deutlich erkennbaren Stigmata. Das Gesicht: bärtig, mit langen Locken. Lentulus lässt grüßen.

Mandylion, Grabtuch und als Drittes das Schweißtuch der Veronika: Die Frage nach dem authentischen Bild Christi hat die Kirche jahrhundertelang beschäftigt. Alle Legenden erzählen vom Versagen der Kunst angesichts des Vera Ikon, des echten Antlitz Christi. Doch auch die Künstler sind immer fasziniert gewesen von dem Thema. So kombiniert etwa der junge Peter Paul Rubens den Moment des Schweißabwischens mit dem entstandenen Bild. Christus, das Kreuz tragend, neigt sich dem Tuch entgegen, das Veronika ihm hinhält, und vor dem Weiß des Tuchs erscheint schon, wie im Bildrahmen begrenzt, sein Abbild, allerdings nicht, wie bei den Schweißtuch-Überlieferungen üblich, en face, sondern im Profil. Künstler wie Jawlensky oder Rouault schließlich haben sich noch im 20. Jahrhundert mit dem „Heiligen Antlitz“ beschäftigt, haben daraus Ikonen der modernen Kunst gemacht.

Die Suche nach dem authentischen Bild ist das eine, die Einsicht in die Nichtdarstellbarkeit das andere. Das frühe Christentum lebt noch vom jüdischen Bilderverbot, fasst das Bild Christi in symbolische Umschreibungen wie den Fisch oder den Guten Hirten, beides in Köln in wunderbar erhaltenen Grabstein-Leihgaben aus Rom zu sehen. Und noch die Moderne kämpft mit dem Bilderverbot: Barnett Newman zum Beispiel, dem jüdischen Dekret verhaftet, sich kein Bild von Gott zum machen, fasst 1970 das Göttliche als das Sublime, das Erhabene, in einem tieftönenden „Mitternachtsblau“ mit zarten hellblauen und weißen Streifen. Auch Yves Klein und Andy Warhol sind als Beispiele in Köln präsent.

Da ist man schon längst mitten in der Kunstgeschichte. Christus ist, als Geburtsszene, als Schmerzensmann, als Passion, als Pietà, als auferstandener Erlöser das häufigste Motiv christlicher Kunst. Selbstverständlich, dass die Kölner Ausstellung hier nur auswählen kann – mit sieben Kapiteln, die den Weg rückwärts von Auferstehung bis zur Passion gehen. Und jenseits aller theologischen Fragen sind es dann doch die Kunstwerke, die triumphieren: eine monumentale Auferstehung von El Greco aus dem Prado gleich zu Beginn, die überlängte, gleißend helle, nackte Christusfigur wie emporgerissen durch die Bildkomposition und daneben ein antikisch-athletischer „Auferstandener“ von Rubens. Ein „Ungläubiger Thomas“ von Guercino, der hyperrealistisch in der Seitenwunde Christi pult, und ein fast hologramm-artig zweidimensionaler Gekreuzigter von Zurbaran. Caspar David Friedrichs „Eiche im Schnee“, ein protestantisches Symbolbild, und eine Kreuzigungsszene von Lovis Corinth: der nackte, gequälte Mensch an der Wand, und vor ihm, mit fast obszön neugierig voyeuristischem Blick, der Maler selbst. Sehen dürfen, zeigen dürfen oder nicht: Diese Frage zieht sich durch die Ausstellung. Die Antwort muss jeder für sich finden.

Ansichten Christi, Wallraf-RichartzMuseum Köln, bis 2. Oktober, Katalog (Dumont) 19,90 €.

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false