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David Albahari.

© picture alliance / dpa

David Albahari: Schüsse aus dem Hinterhalt

Der serbische Schriftsteller David Albahari begibt sich mit seinem Roman "Kontrollpunkt" ins Niemandsland.

Die Lage der Soldaten ist von Anfang an grotesk: „Sie wissen nicht, wo sie sich befinden, man hat ihnen nicht eröffnet, was ihre Hauptaufgabe ist, jemand beabsichtigt, sie alle nacheinander zu töten, kein Mittel der Kommunikation funktioniert, die Essensvorräte schmelzen dahin ...“ Ähnlich orientierungslos wie diese 37-köpfige Reservistentruppe, die an einem bedeutungslos erscheinenden Kontrollpunkt stationiert wird, ist auch der Leser dieses Romans von David Albahari. In welchem Land spielt „Kontrollpunkt“? Welcher Krieg ist gemeint, und wer erzählt hier eigentlich?

Geografische und historische Spekulationen führen allerdings höchstens tiefer in die Verwirrung. Da hilft es auch nicht weiter, dass manches – etwa das Gefühl der Soldaten, von den „Ihrigen“ angegriffen zu werden – als Anspielung auf die Balkankriege gelesen werden kann, die den 1948 im jugoslawischen Pek geborenen Autor 1994 ins kanadische Exil trieben. Es geht Albahari mehr darum, eine Atmosphäre vollkommener Absurdität zu erzeugen.

Der Kommandant ist ein umsichtiger Mann

Es kommt zu diversen Anschlägen auf die Truppe. Die Attentäter bleiben stets im Dunklen. Man vermutet sie im nahe gelegenen Wald. Andererseits verüben die Soldaten selbst Verbrechen: ein Massaker an Flüchtlingen, Leichenschändungen, eine Vergewaltigung. Diese Episoden werden so mechanisch und nüchtern durchgespielt, als gehörten sie zu einer zwangsläufigen Kriegsautomatik.

David Albahari, dessen Romane („Die Ohrfeige“) und Kurzgeschichten schon früher einen Zug ins Kafkaeske aufwiesen, schreibt ohne Absätze und Kapitel. Das verstärkt den Verunsicherungseffekt: Jederzeit kann man auf einen seltsamen Satz treffen, der wie eine aus dem Hinterhalt geschossene Kugel radikal neue Fakten schafft.

Unzuverlässig ist zudem der Erzähler. Zunächst scheint einer der Soldaten aus der Wir-Perspektive zu berichten, doch der größte Teil des Textes hat einen Dritte-Person-Erzähler. Es ist die Sicht des Kommandanten – ein relativ umsichtiger Mann, der die Poesie liebt und nichts dagegen hat, wenn Soldaten mal weinen. Da die Truppe immer kleiner wird, fokussiert sich die Handlung mehr und mehr auf ihn. Es ist beunruhigend, dass auch dieser namenlose Kommandant niemals Kontrolle über die Situation erlangt und schließlich Opfer einer unsichtbaren Macht wird.

Albahari maßt sich nicht an, der große Kriegserklärer zu sein. Er produziert mit „Kontrollpunkt“ vielmehr Fragezeichen und lädt ein, über Sentenzen wie Heraklits „Der Krieg ist aller Dinge Vater“ nachzudenken. Im Jahr des Weltkriegsjubiläums eine gute Anregung.

David Albahari: Kontrollpunkt. Roman. Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann. Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2014. 179 S., 18,95 €.

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