zum Hauptinhalt
David Bowie auf einem Konzert seiner Deutschlandtour 1978.

© picture-alliance / dpa

David Bowie in Berlin: Als Major Tom in Schöneberg lebte

David Bowie wohnte Ende der 70er Jahre in der Schöneberger Hauptstraße. 2013 haben wir seine alten Nachbarn besucht. Die Reportage anlässlich seines ersten Todestages noch einmal zum Nachlesen.

Berlin-Schöneberg im Jahr 1976, die Hausbesitzerin Rosa Morath macht sich Sorgen: Einer ihrer Mieter, ein Rechtsanwalt, ist auf Abwegen. Seine Siebenzimmerwohnung in der Hauptstraße 155 funktioniert er in eine Kommune um, streicht alle Wände schwarz und verdunkelt die Fenster.

Auf Berlins Straßen demonstrieren die Reste der außerparlamentarischen Linken, „Strickstrumpfindianer, die der Osten fürs Randalieren bezahlt“, glaubt Rosa Morath, und nun sieht es so aus, als würden einige von ihnen sich in ihrem Haus festsetzen. Eines Tages hat Morath genug, steht beim Mieter an der Tür und rechnet ihm so lange seine Missetaten vor, bis dieser kündigt – und eine schwarz gemalte Wohnung hinterlässt.

Während Rosa Morath sich noch fragt, woher sie das Geld für die anstehende Sanierung nehmen soll, kommt eine Frau und erklärt, sie würde die Wohnung im Auftrag eines britischen Künstlers mieten. Allerdings müsse die Besitzerin zustimmen, dass der neue Mieter vor Einzug einen Trupp Handwerker durch die sieben Zimmer schicken darf – auf seine Kosten. Eine Bedingung, die Rosa Morath gern erfüllt, und so wird renoviert. Der neue Mieter zieht im Herbst ein: Es ist David Bowie. So erzählt es seine damalige Vermieterin 37 Jahre später am Telefon, mittlerweile 77 und zu einem persönlichen Treffen nicht zu bewegen.

Einerseits ist Bowie 1976 ein Rockstar mit einem beachtlichen Drogenproblem. Aber eben auch mit einem Faible für weiß gestrichene Wände. Und Bowie kommt nicht allein, mit ihm zieht der Punkrocker Iggy Pop in die Hauptstraße, zuerst in dieselbe Wohnung, dann in eine kleinere im Hinterhaus. Der Grund: Er klaut zu oft die Lebensmittel aus dem Kühlschrank, die Bowie im KaDeWe gekauft hat.

Bowie bleibt bis 1978 in Berlin, in dieser Zeit entstehen die als „Berliner Trilogie“ bekannten Alben „Low“, „Heroes“ und „Lodger“. Auf dem Anfang März erscheinenden neuen Album erinnert die erste Single „Where Are We Now?“ an diese ergiebige Schöneberger Zeit.

Wie war wohl der bereits damals berühmte Popstar als Mieter in einem stinknormalen Berliner Altbau? Die Töchter der Vermieterin geben in einem Café in Lichterfelde Auskunft. Brigitte Morath und Barbara Janzen, heute Tierärztin und Beamtin, damals Teenager zwischen 16 und 18 Jahren. Im Gepäck haben sie alte Bilder und Anekdoten.

Die Hauptstraße 155 zu Bowies Zeiten: ein grauer Kasten, der erste Hinterhof mit der Wohnung von Iggy Pop, der Legende nach regelmäßig mit der Gitarre am Fenster, der zweite Hinterhof mit vielen türkischen Einwanderern im Gartenhaus. Und im Vorderhaus verkauft der familieneigene Laden Autoersatzteile, der Stiefvater sitzt an der Kasse, die Mutter in der Buchhaltung und Hausverwaltung. Und Bowie?

„Ein kleiner, dünner Mann mit einem schmalen Gesicht“, erinnert sich Barbara Janzen, die ältere der zwei Töchter. Janzens Stiefvater Wolf-Dieter Trewer, ein ehemaliger Seemann, beherrscht sieben Sprachen und ist erst Ansprechpartner für Bowie, wenn der Probleme mit seinem Auto hat, und später Bowies Freund. Trewer besorgt Bowie einen Mercedes Coupé, Bowie schenkt ihm dafür regelmäßig handsignierte Platten. Für Barbara fällt nichts ab, zu schüchtern sei sie gewesen: „Das Herz blieb mir stehen, wenn Bowie in den Laden kam.“

Bei Iggy Pop ist das anders. Wenn er mal die Stadt verlässt, kommt er morgens in den Laden, überreicht Barbara seine Wohnungsschlüssel und bittet sie, während seiner Abwesenheit die Katzen zu füttern. Im Küchenregal das Katzenfutter, auf dem Teppich die Katzenhaare, und es klingt ein wenig so, als sei nicht gänzlich auszuschließen, dass auch Mutter Morath gelegentlich während Iggy Pops Abwesenheit die Möglichkeit zu einem kleinen Kontrollgang ergreift. Jedenfalls erinnert sie sich noch heute am Telefon an eine „etwas dreckige Wohnung“.

Wie sich das Haus seit Bowies Zeit verändert hat

Ansonsten waren die beiden prominenten Mieter das bestgehütete Geheimnis von Familie Morath, zumindest in der Erinnerung von Rosa Morath und ihrer ältesten Tochter. Schon allein, damit nicht ständig Groupies vor der Tür stehen „haben wir alle dichtgehalten, bis auf einen Angestellten wusste keiner, wer da wohnt“, sagt Janzen. Vielleicht trügt die Erinnerung an dieser Stelle, denn die jüngere Tochter Brigitte kann sich an kein Schweigegelübde erinnern. Im Gegenteil. In der Schule prahlt sie mit den zur Miete wohnenden Rockstars, was jedoch keinen Groupieansturm auslöst. „Und bei mir wohnt Elvis Presley“, haben die Klassenkameraden nur geantwortet.

Mehr als 35 Jahre später, ein kalter Wintertag in der Hauptstraße 155, im Erdgeschoss wartet das „Seventies“ auf Kundschaft. Eine Ein-Raum-Kneipe, der man schon beim Betreten ansieht, dass sie nicht so läuft wie vom Betreiber erwünscht. Bülent Burak, seit 1970 in Berlin, setzte zur Eröffnung im letzten Jahr auf Bowie und den Chic der 70er Jahre: Kugellampen, runde Formen, helle Farben. Es war ein Fehler.

Seine Gäste wollten keinen 70er-Stil. Wonach sie gierten, waren Originalfotos von Bowie, die Herr Burak neben dem Ladeneingang an die Wand geklebt hatte und die ihm so schnell wieder abgerissen wurden, dass er es hat sein lassen. So räumte er auch die Kommode – angeblich ein Original aus Bowies Wohnung – in den Gang neben die Toiletten und stellte stattdessen ein paar Spielautomaten in seine Bar. Seitdem kommen die Spieler zu Herrn Burak und vergrößern sein Problem: Sie gewinnen zu oft.

Hinein ins Haus. Im Treppenhaus Grünpflanzen, gedrechseltes Holzgeländer, ein ausgetretener roter Teppich auf den Stufen. Berliner Bourgeoisie, in die Jahre gekommen. Wo wohnte Bowie? Die Wohnungstüren sind mit Umrandungen verziert, Lack blättert ab, eine von ihnen öffnet sich.

Dagmar Wollschläger, 62 Jahre, Lehrerin: „Kommen Sie rein, wir machen da mal eine Ausnahme.“ Fünf Zimmer auf etwa 160 Quadratmetern, sind also zwei zu wenig. Wollschläger, blonde Haare, Hausschuhe und grüne Socken, zeigt auf die Stelle, an der einst der Durchbruch zu weiteren Zimmern war und wo heute die Nachbarwohnung beginnt. Könnte passen. „Wir haben die Bowie-Wohnung, der Vermieter hat uns das beim Einzug bestätigt“, sagt Frau Wollschläger, die Grundschullehrerin ist, „gestählt im sozialpädagogischen Nahkampf“, wie sie sagt. Ansonsten hält sich Frau Wollschläger lieber bedeckt.

Vier miteinander verbundene Zimmer, Stuck, edles Tafelparkett. Im Flur stehen acht Regenschirme, im Erkerzimmer blühen Unmengen an Blumen, ein Hobby der Hausherrin. Von der Anmutung und den Proportionen her wirkt die Wohnung durchaus angemessen für einen Rockstar. Begeistert war auch ein britisches Touristenpärchen, erzählt die Lehrerin, die vor etwa einem halben Jahr „als wirklich große Ausnahme“ den Briten ihre Wohnung zeigte. Die verließen die Stadt mit dem erhebenden Gefühl, einmal auf Bowies Parkett gestanden zu haben.

Kleines Problem: Es stimmt nicht.

Denn Bowie lebte in der ersten Etage, direkt über dem Autoladen, heute bewohnt von einer Einwanderergroßfamilie. Mehrere Kinder im Grundschulalter öffnen die Tür, bald verscheucht von einem Teenagermädchen, das die Verhandlungsführung übernimmt. Ob irgendwann mal irgendwer in dieser Wohnung gewohnt hat, sei ihr egal, und für David Bowie interessiere sie sich nicht. Im Internet gibt es Foren, in denen Bowie-Fans nicht unhysterisch den gemeinschaftlichen Ankauf seiner ehemaligen Wohnung als Weihestätte diskutieren. Viel weiter als die junge Frau an der Wohnungstür kann man sich von derlei Emotionen nicht entfernen.

Zurück in die späten 70er Jahre. Ein bunter Abend im Partykeller von Familie Morath in Lichterfelde. Irgendwann drückt Wolf-Dieter Trewer seiner jüngeren Stieftochter Brigitte eine Kassette in die Hand: ein frischer Mitschnitt einer Jam-Session, David Bowie und Iggy Pop aus der Hauptstraße 155. Erster Höreindruck: Nicht so gut. „Als wenn die sich erst besoffen hätten, und dann klimpert jeder ein bisschen herum“, sagt Morath. Was macht eine 16-Jährige mit einer Kassette voll schlechter Musik? Sie lässt sie liegen. Und irgendwann kommt die Mutter und schmeißt sie weg.

Zur Startseite