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Neues Museum

© Rückeis

David Chipperfield: Die Reibung der Geschichte

Berlins Dauerstreit um die Architektur: David Chipperfields Wiederaufbau des Neuen Museums ist nahezu abgeschlossen.

Die Baugerüste am Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel sind großenteils gefallen. Zum Vorschein kommt eine uneinheitliche Fassade: teils alt, aber mit Putzflecken übersät, teils als Mauerwerk neu gefügt, doch unverputzt. Das Auge, von den wunderbar stimmigen Restaurierungen der Alten Nationalgalerie und des Bode-Museums verwöhnt, tut sich mit dem Anblick schwer. Ist das das Ergebnis jahrelanger Arbeit? Noch herrscht in der Öffentlichkeit so etwas wie betretenes Schweigen. Noch steht die Wiedereröffnung des im Krieg zerschundenen Bauwerks ja aus.

Doch nach der Aufregung um die Staatsoper und parallel zum längst nicht ausgestandenen Disput um Schloss und Humboldt-Forum wird hier ein weiteres Kapitel im Berliner Dauerstreit um das Verhältnis von Geschichte und Gegenwart, von Gestern und Morgen aufgeschlagen. Erhält die Museumsinsel ihren historisch schimmernden Glanz zurück, oder bleibt sie ein von der Geschichte gezeichneter Erinnerungsort?

Andernorts geht’s deutlicher zu. Einen „Hauch von Krankenhaus“ meinte der Reiseredakteur der „Zeit“ beim Testbesuch im Hamburger „Empire Riverside Hotel“ zu verspüren, und dem Kollegen eines Frankfurter Blattes dünkten die Zimmer „so unbehaust, wie es nur einem Architekten gefallen kann“. In der Tat verweigert sich der Architekt, der häufig in Berlin tätige Londoner David Chipperfield, bei seinem im Februar dieses Jahres eröffneten 20-stöckigen Bauwerk am Rande von St. Pauli hoch über der Elbe, den gängigen Erwartungen, die an ein Hotel dieser gehobenen Preisklasse gestellt werden. Keine Mahagonitäfelungen, keine Clubsessel; wer maritimen Nippes liebt, ist in Hamburgs nagelneuem „Maritimen Museum“ wahrlich besser bedient. So nahe am Hafen, wie Chipperfield mit einem 67-Millionen-Etat auf der Geestkante über dem Elbufer bauen konnte, bedarf es keines Seefahrtkitsches. Das Pfund, mit dem das Hotel wuchert, ist die hinreißende Aussicht auf Hamburgs Hafen. Doch was den von der im 20. Stockwerk untergebrachten, hausbreiten und sechs Meter hohen Bar genossenen Ausblick erst möglich macht, ist – eben die Architektur.

Sie wird bei David Chipperfield bisweilen unterbewertet. Nicht nur zu wenig gewürdigt, sondern überhaupt zu wenig wahrgenommen. Am Hamburger Hotelhochhaus lässt sich erkennen, was Architektur überhaupt ist: nämlich die Formung von Raum und dessen Wechselspiel von frei und begrenzt, offen und geschlossen, von Behaustsein und dessen Entgrenzung. Chipperfield arbeitet immer wieder mit Motiven, die – flüchtig betrachtet – nicht mehr sein mögen als architektonische Elemente; Fenster, Stützen, Treppenstufen. Beim genauen Hinsehen jedoch erweist sich, dass Chipperfield diese Elemente und die aus ihnen gebildeten Bauteile wie Treppenhäuser oder Pfeilerreihen einsetzt, um Raum zu erschaffen: Architektur als Schöpfung.

David Chipperfield, 1953 in London geboren, zählt mittlerweile zu den bedeutendsten Architekten der Gegenwart. Gerade mit seinem stattlichen deutschen Oeuvre beweist er eine Einheit in Vielfalt, eine Vielfalt innerhalb deutlicher Ordnung, wie sie wenigen seiner Kollegen, wenn überhaupt, gegeben ist.

Ob das Hotel in Hamburg, das mit seiner ungebremst vertikalen, bronzeverkleideten Fassade ebenso gut eine Firmenzentrale sein könnte, ob das Berliner Galeriehaus Am Kupfergraben, das mit seinen riesigen Fenstern in den geschlossenen Fassaden wie eine archaische Skulptur wirkt, ob das Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar, das als lichte Akropolis eine antikische Synthese aus Eleganz und Strenge wagt; oder auch das Berliner Verlagsgebäude in der Friedrichstraße, das von der Straße allein als sorgfältige Restaurierung des Altbaus erkennbar ist, – Chipperfields Bauten sind große Architektur, und das allein schon heißt, dass sie sich um Trends ebenso wenig scheren wie um das allzeit erkennbare Markenimage eines Star-Architekten.

In Berlin plant und baut Chipperfield seit insgesamt mehr als einem Jahrzehnt an seinem anspruchsvollsten und auch historisch gewichtigsten Werk, dem Wiederaufbau des Neuen Museums und dessen Ergänzung durch ein vorgelagertes zentrales Eingangsgebäude für die gesamte Museumsinsel.

An diesem doppelten Bauvorhaben scheiden sich die Geister. Sie scheiden sich, weil mit der kostbaren Ruine des im Krieg schwer beschädigten Neuen Museums von 1859 ein Gebäude zur Wiederherstellung ansteht, das selbst ein weit über das Architektonische im engeren Sinne hinausreichendes Meisterwerk darstellt. Die zugrunde liegende Konzeption, deren geistiger Gehalt uns heute fern gerückt ist, hat gleichwohl ein unabdingbares Kapitel im Verständnis von musealer Bildung geschrieben. Chipperfields Eingriffe in die ruinierte Substanz hingegen behaupten Recht und auch Pflicht der Gegenwart, aus der Erkenntnis der unumkehrbaren Geschichte heraus ein neues Kapitel in das vorhandene Bauwerk einzuschreiben, das eben nicht als Museum seiner selbst, sondern als Bildungsstätte in veränderter Ausrichtung genutzt werden soll. Aus diesem Konflikt heraus erwachsen Maßnahmen und auch Kompromisse, die keine der in Berlin heftig und nebenbei schon lange vor Chipperfields Beauftragung verfeindeten Seiten zufrieden stellen können.

Der zurückhaltende Londoner würde niemals abstreiten, im Laufe seiner Planungsarbeit dazugelernt zu haben. Die Kenntnis des von Friedrich August Stüler entworfenen – und wegen Schinkels nach gerade einmal zwanzig Jahren zu klein gewordenem „Alten“ Museums als „Neu“ bezeichneten – Gebäudes hat sich im Laufe der denkmalpflegerischen Untersuchungen geradezu dramatisch vertieft. Die Delikatesse der Verbindung von romantisch historisierender Ausschmückung bei fortschrittlichster Ingenieurtechnik hat das Neue Museum immer stärker ins öffentliche Bewusstsein gehoben, nicht länger als bloße Ergänzung, sondern geradezu als Antipode zu Schinkels Gründungsbau einer Bildungsanstalt in Humboldt’schem Geiste.

Beim riesigen Treppenhaus, dessen Dimension ohne die Ausmalung mit Kaulbachs Fresken höchst einschüchternd wirkt, verweigerte Chipperfield jedweden Kompromiss, wie er ihn in manchen der überraschend gut erhaltenen Sammlungssäle in Beratung mit dem Denkmalpfleger Julian Harrap durchaus eingegangen ist. Das Treppenhaus des Neuen Museums, das im kommenden Herbst als Heimstatt des Ägyptischen Museums sofort zum Publikumsmagneten avancieren wird, bleibt kahl und karg, bleibt unverhülltes Mauerwerk rings um den wuchtigen Beton der neuen Treppe, bleibt Reibung und Schmerz angesichts des Verlustes durch Bomben und Brand. War der Verlust, anders als bei den beiden bereits restaurierten Insel-Museen, tatsächlich unwiederbringlich? Oder herrscht da eine Geschichtsdidaktik, die sich vom Krieg nicht losreißen kann?

Dass Chipperfield einen diesem Baudenkmal ebenbürtigen Neubau als Eingangsgebäude – inzwischen zur „James- Simon-Galerie“ aufgewertet – entwerfen muss, ist ihm bewusst. Es war auch dem Auftraggeber, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, deutlich, als diese ihn zu einer radikalen Neuplanung anhielt. Anstelle der ursprünglichen Addition von Gebäudekuben erhebt sich nun im Entwurf eine Pfeilerhalle entlang des Kupfergrabens, die die benachbarten Gebäude von Pergamonmuseum und Neuem Museum in einer ausgesprochen klassizistischen Formensprache verklammert.

Gegenüber demonstriert Chipperfield mit dem Galeriehaus Am Kupfergraben seine bewundernswerte Materialbehandlung. Kann es ein Einwand sein, dass er die Technik des durch feinen Mörtelüberzug weißlich „geschlämmten“ Mauerwerks aus handgeformten – nebenbei aus Abbruchhäusern herbeigeschafften – Ziegeln an der Ruine des Stüler-Museums beobachtet hat? Ließe sich besser als an dieser Stelle Berlins beschreiben, was mit dem strapazierten Begriff des „Bauens im Bestand“ gemeint sein kann? Und dies von der Hand eines Architekten, dessen Haus am Ufersaum eines nordspanischen Fischerdorfes geradezu als Ikone kontextueller Architektur gerühmt wird.

In Marbach am Neckar, diesem Walhall der deutschen Literatur, zeigt Chipperfield, dass Monumentalität nichts mit dem Metermaß zu tun hat und schon gar nicht mit Einschüchterung. Sondern mit Erhebung: Da steht am Rande des hügeligen Geländes ein kleines, pfeilerumgürtetes Gebäude auf breitem Sockel, der seinerseits das hangseitig geöffnete Untergeschoss des Museums bildet. Die Pfeiler – im Untergeschoss bilden sie die Stützen zwischen den stockwerkshohen Fenstern – sind aus schlichtem Beton, die „Cella“ dieses Literaturtempels ist mit dunklem Holz verkleidet. Im Inneren wiederholt sich das „Haus im Haus“-Motiv: insgesamt eine wunderbar geordnete Abfolge von Näherkommen, Eintreten, Hinabsteigen, dann erst die Sammlungsräume Besichtigen. Eine Feier der Literatur, soweit sie sich überhaupt als physisches Objekt fassen lässt, als Zettel, Manuskript und Buch, und daher eines Gebäudes bedürftig, das als Ganzes ein Monument bildet, eben „der“ Literatur.

Dieses Monument ist ein unumstrittenes Meisterwerk der Architektur. Demgegenüber wird David Chipperfields Berliner Museumsprojekt sowohl Zustimmung erfahren als auch Widerspruch erregen. Aber es wird deutlich sein, dass es dabei um nichts weniger geht als um die Baukunst unserer Zeit.

David Chipperfield, geb. 1953 in London, ausgebildet an der Architectural Association, seit 1984 selbstständig. Zahlreiche Bauten in Deutschland, wie das Literaturmuseum der Moderne in Marbach (ganz o.) und ein Hotelhochhaus in Hamburg. 1999 Tessenow-Medaille, 2004 Commander of the British Empire.

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