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Mauerspringer. Klaus Schlesinger wäre heute 75 geworden. Er starb 2001. Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

DDR-Literatur: In hohem Bogen

Aufrechter Träumer: Astrid Köhlers Biografie über den Ost-Berliner Schriftsteller Klaus Schlesinger.

In Peter Schneiders „Mauerspringer“ steht der Satz, in Deutschland heile die Zeit keine Wunden, sondern töte das Schmerzempfinden. Aber die Erinnerung an den toten Freund Klaus Schlesinger schmerzt Berliner Autoren noch immer, wenn jetzt – nach zehn Jahren – die von Astrid Köhler verfasste erste Biografie über den Schriftsteller erscheint. Einen Schriftsteller, den seine treuesten Leser im Osten als Autor von „Michael“, „Alte Filme“ und „Berliner Traum“ kennen, während West-Leser ihn eher als den Autor Pommerer in Schneiders Kultbuch im Gedächtnis haben. Die Berliner Mauer trennte ja, trotz mancher Grenzgänge, auch die Lesewelten in Ost- und Westdeutschland.

Klaus Schlesinger zählte zu den wenigen DDR-Autoren, die schon für ihr erstes Buch einen Lizenzverleger im Westen fanden. Aber seine Lesergemeinde hatte er – wie Ulrich Plenzdorf und Martin Stade – vor allem im Osten. Selbst sein späterer Wechsel nach West-Berlin gab ihm nicht das Gefühl, er sei dort im doppelten Wortsinn angekommen. Nachlesen kann man das bereits in seiner Chronik „Fliegender Wechsel“ von 1990.

Dabei kannte Schlesinger West-Berlin nicht nur über seine Autorenfreunde Peter Schneider oder Hans-Christoph Buch, sondern noch aus eigenem Erleben in der Zeit vor dem Mauerbau. 1941 in Prenzlauer Berg geboren, war er wie alle aufgeweckten Jugendlichen im Osten als begeisterter Kinogänger, Jazzfan und Schwarzhändler zwischen den Sektoren mit seiner Clique in ganz Berlin unterwegs. Fotos zeigen ihn als flotten Swing-Bubi, später mit Elvistolle und den ersten Jeans. 1951 flog er von der Schule, weil er dem einzigen Jungpionier seiner Klasse ein Flugblatt über den Marshallplan von der West-Berliner Mai-Kundgebung in die Tasche geschoben hatte. Es half ihm nicht, dass er die Grundschule „mit sehr gutem Erfolg“ bestanden und die Zulassung zur Oberschule erhalten hatte; er musste eine Lehre in Weißensee antreten, worüber er sich erst sehr viel später tröstete: „Wäre ich nicht in hohem Bogen aus der Oberschule geflogen, hätte ich nie die Welt der Fabrik kennengelernt.“

In „hohem Bogen geflogen“ ist er noch oft. Aus dem Fachschulstudium, weil er auch als Mitglied der FDJ „die Errungenschaften unserer Republik nicht voll anerkennt und dementsprechend verniedlicht“. Aus seiner ersten Stellung als Lebensmittelchemiker einer Tütensuppenfabrik wegen mangelnder Arbeitsmoral und „Opposition zu den Maßnahmen der Werkleitung“. Aus dem Fernstudium an einer Ingenieurschule, das er – der Disziplinlosigkeit und politischen Unbotmäßigkeit beschuldigt – selber abbrach wie schon zuvor ein Abendstudium an der West-Berliner Beuth-Schule.

Aus einer Anthologie zum 25. Jahrestag der DDR flog er wegen seiner Darstellung des 13. August 1961 als „Ende der Jugend“. Und schließlich wurde er 1979 aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen, nach seinem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, den Bahro-Prozess und die Verurteilung Robert Havemanns und Stefan Heyms wegen angeblicher Devisenvergehen. Der Autor Dieter Noll rechnete ihn deshalb im „Neuen Deutschland“ unter „einige wenige kaputte Typen, die da so emsig mit dem Klassenfeind kooperieren“.

Für Schlesinger war das – um Biermann zu zitieren – „im Grund eine große Ehr’“. Denn die aus Sicht der Herrschenden vermeintlich „kaputten Typen“ waren nicht nur die heimlichen Helden seiner Bücher, sondern auch seine anhänglichsten Freunde: die Aussteiger und Szenetypen in Prenzlauer Berg wie in den besetzten Häusern West-Berlins nach seinem „fliegenden Wechsel“.

Hier schlug er in einem besetzten Haus in der Potsdamer Straße sein Westquartier auf, in das er nach Beziehungskrisen mit seiner Frau Bettina Wegner und anderen Frauen immer wieder zurückkehrte. In der DDR, in die er dank seiner beibehaltenen Staatsbürgerschaft jederzeit pendeln konnte, bewohnte er mit Schriftstellerfreunden eine ländliche Künstlerkolonie; nach der Wende eine besetzte Wohnung in der Ost-Berliner Jägerstraße, zusammen mit „taz“-Chefredakteur Michael Sontheimer. Für die Ost-Ausgabe der „taz“ fungierte er sogar einige Zeit als Gesellschafter. Am 11. Mai 2001 starb Klaus Schlesinger an Leukämie.

Astrid Köhler hat diesen vielfach gebrochenen Lebensweg aus zahlreichen Quellen und Gesprächen mit Angehörigen und Wegbegleitern rekonstruiert und mit einer Skizze des zeitgeschichtlichen Hintergrunds unterfüttert, die sich manchmal wie ein Schulbuch für die Mittelstufe liest. Das muss kein Schade sein, zumal für jüngere Leser, die den biografischen Kontext nicht aus eigener Erinnerung kennen. Und die dann vielleicht eins von Schlesingers Büchern aufschlagen werden, jenes aufrechten Schriftstellers, der am heutigen Montag 75 geworden wäre.

Astrid Köhler: Klaus Schlesinger. Die Biografie, Aufbau Verlag, Berlin 2011. 394 Seiten, 26,99 €. Buchvorstellung am heutigen Montag um 20 Uhr im Brecht-Haus, Chausseestr. 125, mit Jutta Wachowiak.

Hannes Schwenger

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