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Turmspringerin trotz Höhenangst: Im DDR-Sportsystem wurden die jungen Sportler nicht nach ihren Wünschen gefragt.

© Berlinale

DDR-Sport-Doku: „Ich habe mir ein Stück Kindheit zurückgeholt“

Spitzensportler in der DDR: Regisseurin Sandra Kaudelka über ihre Doku „Einzelkämpfer“ in der PERSPEKTIVE, ihre Zeit im Sportinternat und die Begegnungen mit den Stars des DDR-Leistungssports..

Tief unter dem Sprungbrett schimmert das blaue Chlorwasser. Zehn Meter über dem Becken stehen die Springerinnen, holen Schwung, springen ab, wirbeln in Schrauben und Überschlägen durch die Luft und tauchen kerzengerade ins Becken ein. Als Sandra Kaudelka an der Reihe ist, will sie nicht. Sie hat Höhenangst. „Alle sind schon gesprungen, nur ich nicht“, erzählt die heute 35-Jährige. „Dann kamen die Zweifel: Bin ich vielleicht falsch und die anderen sind richtig?“ Die Autorität der Trainer, der Druck der Gruppe, die Erfolge, die das Mädchen im unerbittlichen Sportsystem der DDR feierte – es gibt viele Gründe, warum Sandra Kaudelka am Ende doch sprang, wieder und wieder. Warum sie den Trainingsstreik abbrach, obwohl sie nichts wie weg wollte aus dem Internat.

Das zierliche Mädchen war schon im Kindergarten als Wasserspringerin ausgewählt worden. Sie musste funktionieren, schließlich hatte der sozialistische Staat Mühe und Geld in ihre Ausbildung gesteckt. Dann fiel die Mauer, Sandra Kaudelka war endlich frei vom Trainingsdrill. Jahrelang vermied sie Schwimmbäder, sie konnte den Chlorgeruch nicht ertragen.

20 Jahre später will sie ihr Trauma aufarbeiten und sucht für ihre DFFB-Abschlussarbeit nach Menschen, die auch Teil dieses Systems waren. „Die Reduktion auf Doping ist mir zuwider“, sagt Kaudelka. In „Einzelkämpfer“ geht es ihr um die Legionen von Kindern und Jugendlichen, die für die Sportförderung rekrutiert wurden. Darum, was durchgetaktete Tage, straffer Schulunterricht und Quälerei im Training mit Sanktionen wie Essensentzug anrichten können. Und sie will die eigenen Widersprüche aufarbeiten, die Balance zwischen Beklemmung und Nostalgie über die Erfolge und Freundschaften von damals. „Ich habe mir ein Stück Kindheit zurückgeholt“, sagt sie rückblickend.

Schnell stellte die Regisseurin fest, wie unterschiedlich ihre Protagonisten mit den harten Anforderungen umgingen. Und findet dennoch bei jedem auch Elemente ihrer eigenen Geschichte. Da ist das große Vorbild aus Internatstagen, die dreifache Europameisterin im Wasserspringen Brita Baldus. Sie machte alles mit, war die perfekte Diplomatin im blauen Trainingsanzug. Es ging ihnen doch gut, warum also Fragen stellen. So dachte auch Kugelstoßer Udo Beyer, der sich über die Südfrüchte auf dem Speiseplan im Sportinternat freute. Doch der bärenhafte Riese sieht das System auch nüchtern: Kapitalistisch sei es gewesen. Dieses Leistungsprinzip, „ gepaart mit dem gewissenlosen Verabreichen von Substanzen, war das Erfolgsrezept par excellence.“

Marita Koch ist ein gutes Beispiel dafür, wie dieses Erfolgsrezept funktionierte. Sie hält bis heute den Weltrekord über 400 Meter. Über die schmerzhaften Erinnerungen an die mörderische Sprintdistanz lächelt sie hinweg, ebenso über das Thema Doping. „ Ihre Art, damit umzugehen, will ich ihr nicht nehmen“, sagt Kaudelka. Und hat dabei „das Bild vom Kinderkriegen vor Augen. Erst ist da der Geburtsschmerz, dann kommt das Baby und der Schmerz ist vergessen.“

Sie kann wieder lachen: Regisseurin Sandra Kaudelka.
Sie kann wieder lachen: Regisseurin Sandra Kaudelka.

© Berlinale

Der Monströsität des Drills hat sie sich gemeinsam mit der ehemaligen Sprinterin Ines Geipel gestellt. Mit ruhiger, fast monotoner Stimme erzählt Geipel von ihrer Liebe zu einem mexikanischem Sportler, vereitelten Fluchtplänen und einer angeblichen Blinddarmoperation, die dazu diente, sie „auf Eis zu legen“, wie in den Stasi-Unterlagen steht. Geipel steht für die rebellische Seite, die auch die junge Kaudelka zum Widerstand ermutigte.

Trotz allem ist die junge Regisseurin froh, in der DDR aufgewachsen zu sein. Sie kann besser die Waage halten zwischen Anpassung und Selbstverwirklichung, sagt sie. Mittlerweile erträgt sie auch den Chlorgeruch wieder, wagt ab und zu einen Sprung – vom Dreimeterbrett. „Früher war das ein Gefühl von Fallen“, sagt sie. „Inzwischen ist es eher wie Fliegen.“ Nantke Garrelts

15.2., 16. 30 Uhr (Cinemaxx 3), 16.2., 13 Uhr (Colosseum 1)

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