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DDR auf der Bühne. Szene aus der Leipziger Inszenierung von "89/90".

© Rolf Arnold

DDR-Stück "89/90" beim Theatertreffen: Chaos und Melodram

Zu viel Geschrei, zu wenig Nuancen: Die Leipziger Bühnenadaption von Peter Richters großartigem Wenderoman "89/90" lässt die DDR im Chaos versinken.

Es ist eine der Schlüsselszenen in Peter Richters autobiografischem Roman „89/90“, aus dem das Schauspiel Leipzig seine gleichnamige Aufführung destilliert hat. Im letzten Sommer der DDR, im Jahr ’89, spielt der Fußballclub Carl Zeiss Jena bei Dynamo Dresden. DDR-Oberliga, und die Freundin des damals 16-jährigen Ich- Erzählers, die zum ersten Mal im Dresdner Stadion ist, wundert sich über den Hass. Besonders hart ging es her, wenn die Dresdner auf den als Mielke- Stasi-Verein verhassten FC Dynamo aus Berlin trafen. Die Berliner bewarfen die Dresdner Fans mit Südfrüchten, die es gerade nur in der Hauptstadt gab (eigentlich rührend), worauf der Erzähler die Gegenrufe hört: „Juden-Berlin“. Oder „für die Preußen Zyklon B“. Richter gesteht sich und der Freundin darauf „Anflüge von umgekehrtem Rassismus“ ein, nicht nur gegenüber den Männern, etwa den Nazi-Skins, vielmehr „waren wir schon dankbar, wenn jemand mal dunkle Haare hatte“. Denn „so ist es, wenn du umgeben bist von uringelben Dauerwellen“.

Die Szene ist nicht enthalten in der Leipziger Inszenierung beim Theatertreffen. Nicht allein das ist der Preis, wenn man aus einem über 400-seitigen (wunderbar klugen, witzig-traurigen) Roman, weil es grad angesagt ist, unbedingt Theater machen will. Stattdessen geht es der überregional noch wenig bekannten, in ihren Interview-Äußerungen sehr sympathischen Regisseurin Claudia Bauer um ein szenisches „Oratorium“. Also gibt’s einen Chor mit 35 Sängerinnen und Sängern in ostdeutschem Outfit, die parteitreues Liedgut oder Zeilen aus DDR- Punksongs in vielstimmige Kantaten überführen. Dies freilich so oft und zeitdehnend, dass sich die Wirkung schon bald erschöpft.

Kein Sinn für Nuancen

Bruchstücke des DDR-Endzeit-Romans erfährt man aus Gesprächen, die sich zwei, drei (für Nichtkenner des Buchs eher undeutliche) Hauptfiguren als Erinnerungen in einer Art Rundfunkstudio vortragen, in das man wie durch einen vergrößerten DDR-Fernsehschirm schaut. Darum herum ist die Holztäfelung des Leipziger Theaters als Interieur im Anna-Viebrock-Stil nachgebaut. Freilich wirkt auch vieles sonst hier als Nachbau und kommt in den Moden des neuen alten Konventionstheaters daher: mit prätentiösem Bühnennebel, Live-Cams, Masken, frontalem Schreien.

In der Tat spielen sich die Leipziger Akteure einen Wolf, aber fast immer viel, viel zu laut, zu grob, ohne Sinn für Nuancen, was auch das Chorische von seinen Vorbildern à la Schleef oder Marthaler unterscheidet. Der erwähnte NSU, der lange verdrängte nazistische Untergrund und die Ambivalenzen der Ost-Gesellschaft kommen zwar vor, bleiben aber unscharf. So versinkt hier die DDR im monotonen Chaos, und die Wiedervereinigung wird zum melodramatischen Menetekel.

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