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Die Elektronische Musikszene ist eine der einflussreichsten in der Berliner Kulturlandschaft. Sie funktioniert aber nach anderen Regeln als der Pop-Markt.

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Debatte um Gema-Gebühren: Es geht um mehr als Parties

Clubsterben, verarmende Musiker und der Tod der elektronischen Musik. Die aktuelle Gema-Debatte läuft an der Realität vorbei. Wichtige Aspekte der neuen Bestimmungen werden gar nicht diskutiert. Einige Knackpunkte und ein paar Lösungsvorschläge.

Von Hendrik Lehmann

Ein Aufschrei hallt seit der Bekanntgabe der Gema-Tarifreform durch die Szene der unendlichen Nächte. Mit den steigenden Abgaben, die Clubs ab Januar 2013 bezahlen sollen, lohnt sich für viele Clubs ihr Geschäft nicht mehr. Sie machen dicht, die übrig gebliebenen erhöhen die Preise, DJs und Musikern gehen damit Auftrittsorte verloren und die Gema erreicht am Ende nur Nachteile für diejenigen, deren Vertretung sie eigentlich ist: Die Musiker. Soweit, so simpel das Argument der Gegner der Tarifrefom. Das Gegenargument der Gema, ohne sie gäbe es ja die ganze Musik nicht, mit denen Diskotheken ihr Geld verdienen und es ihre Aufgabe als Vertreter der Künstler ist genauso schnell erzählt. Und genauso kurz gegriffen.

Eine Vereinfachung, die keine ist

Wie viel die Clubs am Ende tatsächlich zahlen müssen ist eigentlich noch völlig unklar. Zum einen gilt für alle Diskotheken, die Mitglied einer Vereinigung sind, zum Beispiel des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands, nur der Tarif, auf den sich die Organisation mit der Gema in separaten Verhandlungen einigt. „Fast alle Clubs in Berlin sind in solchen Vereinigungen organisiert“, so Lutz Leichsenring von der hiesigen Clubkommission. Zum anderen gilt eine Ausnahmeregelung für den Fall, dass hohe Abgaben in starkem Missverhältnis zu den Einnahmen des Veranstalters stehen. Die muss der Veranstalter der zuständigen Gema-Bezirksdirektion mit einer detaillierten Abrechnung nachweisen. Die Entscheidung über jeden Einzelfall liegt bei der Bezirksdirektion: „Feste Kriterien gibt es nicht“, sagt Gema-Pressesprecherin Katharina Reindlmeier.

Die Clubs verlieren ihre Farben

Für kleine Clubs ohne professionelle Buchhaltung bedeutet das einen unzumutbaren bürokratischen Aufwand. Aber gerade für sie ist die Ausnahmeregel gedacht, zumal die Konkurrenz in Berlin groß ist. „Die Clubszene hier ist international so berühmt, weil viel für Musiker und DJs ausgegeben wird“, erklärt Ben de Biel, ehemaliger Betreiber der Maria am Ostbahnhof und Pressesprecher der Berliner Piratenpartei. „Unbekannte Musiker auszuprobieren, die förderungswürdig sind, aber kein großes Publikum anziehen, wird mit den neuen Tarifen zu riskant. Dann wird es nur noch das Ziel sein, den Club so voll wie möglich zu bekommen.“

Eine Alternative wäre es, die Gebühren nicht nach der Fläche des Clubs zu berechnen, sondern nach der Anzahl der Gäste. Die Fläche wird von Wand zu Wand gemessen, der Raum für Bars und Bühnen, Dekoration und Sitzgelegenheiten nicht abgezogen. Da das meiste Publikum nun mal in einen leeren Saal passt, wird etwa für große Bars mit Freiraum für die Mitarbeiter weniger Platz sein. Die Abrechnung nach Gästezahl ist für die Gema jedoch „keine Verhandlungsoption“, so Reindlmeier. Es sei zu schwierig, diese Zahl zuverlässig zu erheben.

Wohltätigkeit wird teuer

Die neuen Tarife gelten auch für Benefizpartys. Ob berühmte Livemusiker oder DJs: Wenn sie Gema-Mitglied sind und für einen guten Zweck spielen, können sie nicht freiwillig auf ihre Gebühreneinnahmen verzichten. Wenn zum Beispiel Amnesty International Partys für Kinderrechte in Fabriken veranstaltet, gibt es lediglich einen Rabatt von zehn Prozent, auch bei den neuen, hohen Tarifen. Außerdem gilt nur das als Wohltätigkeit, was der Linderung der Not von Menschen dient. Benefizkonzerte für Umwelt- oder Tierschutz sind nicht ermäßigungsberechtigt. Selbst Gehörlose zahlen Gebühren, wenn hörende Gäste anwesend sind; sie bekommen 33 Prozent Nachlass.

Black Box Gema: Wie berechnet wird, wer Geld bekommt

Die Debatte um die Gema-Reform ist auch eine Debatte um den Wert verschiedener Musik.
Die Debatte um die Gema-Reform ist auch eine Debatte um den Wert verschiedener Musik.

© dpa

Wieso freuen sich die Popmusiker und DJs, die anders als Klassikinterpreten Gema-berechtigte Urheber sind, nicht darüber, dass mit der Reform mehr Geld für sie erwirtschaftet werden soll? Manche haben kaum etwas von den höheren Einnahmen. Bei elektronischer Musik, wie sie in vielen Clubs gespielt wird, gibt es wenig Massentaugliches, anders als Pop läuft sie selten im Radio. Hier richten sich die Ausschüttungen hauptsächlich danach, wie oft die Musik in Clubs gespielt wird. Berechnet wird das mithilfe von Black Boxes. 120 dieser Geräte betreibt die Firma Media Control im Auftrag der Gema in Deutschland. Eine Stunde am Abend schalten sie sich an und senden Daten an die Zentrale. Wo sie stehen, weiß nur Media Control, die Clubbetreiber dürfen nicht darüber sprechen. Aber wie genau werden die Einnahmen verteilt?, fragen einige DJs. Sie wissen, dass viele der Songs, die sie spielen, gar nicht bei der Gema verzeichnet sind.

Als Alternative wird das sogenannte Tracking gehandelt. Dabei erkennt ein Programm die gespielten Stücke. „In England basiert das Erhebungsverfahren bereits darauf“, erklärt Ben de Biel, „warum nicht hier? Die App Shazam hat schon jetzt eine Genauigkeit von 96 Prozent.“ Langfristig, so Reindlmeier, ist das geplant. Vor allem, wenn DJs Lieder vermischen oder live interpretieren, stoße das System jedoch an Grenzen.

Video: Stimmen von Betroffenen gegen die Reformen bei der Demonstration Ende Juni

Die neue Zwei-Klassen-Musik

„Die Gema sollte dringend über ihre Kategorien nachdenken, nach denen sie Musik unterscheidet“, sagt Max Schumann. Die Geschwister Schumann spielen etwa dreimal im Monat in Clubs, recht erfolgreich mittlerweile. Pola singt, Bruder Max hantiert mit Laptop und Mischpulten. Was sie spielen, ist selbst komponiert. Bei der Gema sind sie nicht angemeldet, die Ausschüttungen wären minimal. Ihre Musik veröffentlichen sie online auf dem Eigenlabel Symbionten, das sie gemeinsam mit anderen Künstlern betreiben. Es fungiert gleichzeitig als Bookingagentur und Veranstalter. So verdienen sie ein bisschen Geld, jenseits des großen Markts. Die Geschwister Schumann sind ein gutes Beispiel dafür, warum viele aus der Clubszene die Reform ablehnen: Sie profitieren nicht von der Gema und hätten es schwerer, wenn es weniger Clubs gäbe, in denen sie auftreten können.

Der Schlüssel zu einer gerechten Lösung scheint im Abrechnungssystem zu liegen. Über dessen Ausgestaltung entscheiden die 3500 ordentlichen Gema-Mitglieder, die allerdings nur fünf Prozent aller Mitglieder ausmachen. Der Mitgliedsstatus richtet sich nach der Höhe der Ausschüttungen: Wenn alle die gleichen Stimmrechte hätten, gäbe es im Nu ein Verteilungssystem, von dem auch kleinere Musiker profitierten. Die Gema hat auch ein Demokratieproblem.

Auch wird zwischen E- und U-Musik unterschieden, für Klassik gibt es mehr als für Pop. Begründung: Es sei aufwändiger, eine Symphonie zu komponieren, als einen Popsong zu schreiben. Die Elektromusikszene hat dafür zu Recht wenig Verständnis.

Auf der Transmediale etwa, einem Festival für experimentelle elektronische Musik und Kunst, spielte Anfang des Jahres Mark Fell im Berghain . Seine Musik, so das Label, ist von der „Idee der Mulitistabilität in Gestaltpsychologie und Systemtheorie inspiriert“. So hörte sie sich auch an. Ein breiteres Publikum als zum Beispiel ein Opernkomponist wird er in näherer Zukunft sicher nicht erreichen.

Gema-freie Musik?

Die Alternative mag hier sein, dass sich eine Gema-freie Szene herausbildet. Veranstalter könnten ausschließlich Nichtmitglieder anheuern, DJs auf Hits verzichten und nur Musik mit CreativeCommons-Lizenz spielen. Da viele Bands ohnehin nicht mehr von ihren CDs leben, sondern von ihren Auftritten, ist das bei elektronischer Musik durchaus eine Option. Erste Gema-freie Festivals gibt es bereits. Nur die Chance, dass solche Musiker doch noch Karriere auf dem lukrativen Massenmarkt machen, wäre dann noch geringer als jetzt.

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