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Kultur: Debüt: Ein Blick ins Familienalbum: Doja Hackers erster Roman

Es ist der Tonfall, der einen aufmerksam macht. Hier werden Geschichten erzählt aus dem familiären Einerlei, ein bisschen Liebeskummer und noch ein bisschen mehr Sehnsucht, gelebt irgendwo zwischen Berlin, Holstein und südpolnischer Provinz, nichts wirklich Aufregendes.

Es ist der Tonfall, der einen aufmerksam macht. Hier werden Geschichten erzählt aus dem familiären Einerlei, ein bisschen Liebeskummer und noch ein bisschen mehr Sehnsucht, gelebt irgendwo zwischen Berlin, Holstein und südpolnischer Provinz, nichts wirklich Aufregendes. Aber mit ihrer selbstironischen, gelegentlich sarkastischen Art gewinnt uns die Erzählerin in Doja Hackers Debütroman "Nach Ansicht meiner Schwester" schon auf den ersten Seiten.

Sie, die ältere Männer attraktiv findet, zieht nach einer Trennung zu ihrer jüngeren Schwester Jill nach Berlin-Wilmersdorf, um sich mit ihr Zigaretten zu teilen, über Männer zu philosophieren und Berliner Wochenmärkte zu durchstreifen. Alles übrigens meist ergebnislos: "Weshalb sollten wir auch kochen, wir lebenshungrigen, berufstätigen Frauen?"

In lockerer Folge treten auf: schnöselige Besserwisser, verheiratete Städteplaner und hemdsärmlige Lebenskünstler. Und treten wieder ab. "Wenn Situationen stagnieren, verschwindet das Glück", heißt es einmal. Deswegen wird eifrig geplant und gehandelt. Man will einen Bauernhof fürs traute Glück irgendwo im polnischen Hinterland einrichten, man will in die Mongolei reisen, Kinder zeugen, sich einen Hund halten, eine berufliche Existenz gründen und die Familie mit Festen und Riten zusammenhalten. Doch im Grunde möchte man nur zur Ruhe kommen, was sich aber als schwierig, ja geradezu unmöglich erweist.

Die vielen Geschichten aus der Kindheit der Erzählerin, deren sie sich erinnert, stehen für jene Stabilität, an die man anknüpfen möchte. Doch da ist auch das Wissen um das Scheitern der elterlichen Beziehung und die darauf folgende Entfremdung innerhalb der Familie. Die Mutter zeigt sich stets besorgt, anthroposophisch angehaucht und intellektuell ambitioniert. Der Vater schätzt vor allem seine Unbeweglichkeit und seine gelegentliche Rolle als Störfaktor. Dann gibt es da noch Tante Hoppla aus dem Schlesischen, eine putzmuntere Großmama mit handfesten Ansichten, einen versnobten Pianistenonkel und andere Verwandte aus dem klassischen Handbuch deutscher Familiengeschichte. Aber wir hören auch von den kleinen Tragödien, die diese Leben durchkreuzen.

Man lächelt angesichts des Charmes und der satirischen Qualitäten der Erzählerin, über ihre kleinen Frozzeleien und ihren Sinn für kulinarische Details. Doch unübersehbar bleibt eine gewisse Wehmut, die Liebe und das Leben nicht greifen und nicht begreifen zu können. Diese Literatur besticht durch geradezu fliegerische Fähigkeiten; die Erzählerin zirkelt graziös Kunststücke in die Luft und scheut auch den Tiefflug nicht. Nichts wirkt aufgesetzt, ob erdenschwer oder in urbanem Flirren; man erhält eine Vorstellung von einem Lebensgefühl, ohne gleich wieder von zeitgeistigen Vokabeln erschlagen zu werden.

Thomas Kraft

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