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Debütfilme: Ausweg, los!

Am heutigen Dienstag werden in Berlin die First-Steps-Preise vergeben. Die jungen Filmemacher erzählen von Aufbruch und Verantwortung

Ein Lob den Untertiteln! Fast die Hälfte der Filme, die um den diesjährigen FirstSteps-Preis für Abschlussarbeiten an deutschsprachigen Filmschulen konkurrieren, sind gar nicht in deutscher Sprache gedreht. Die Protagonisten sprechen Georgisch, Russisch, Ukrainisch, Rumänisch, Spanisch, Japanisch, Englisch. Das öffnet dem Zuschauer die Augen (und Ohren) für bisher unbereiste Filmwelten und macht deutlich, dass das migrantische Kino auch in den Einwanderungsländern Deutschland, Österreich und Schweiz längst kein Randphänomen mehr ist.

Umso schöner, wenn sich das Phänomen gleich mit einem knackigen Begriff fassen lässt. First-Steps-Programmleiterin Andrea Hohnen nennt es die „Generation E“, wie Emigration. Viele der jungen Regisseure und Drehbuchautoren erzählen vom Aufbruch in die Fremde, vom Zurücklassen des Bekannten, der Suche nach dem Neuen – oder einem verlorenen Alten.

Wie in „August“ von Mieko Azuma: Die Schriftstellerin Johanna (Sylvana Krappatsch“ reist in diesem stillen, langsamen, fein geschliffenen Film nach Hiroshima, wo sie einen Teil ihrer Kindheit verbracht hat. Sie spricht mit Zeitzeugen und Jugendlichen, besucht die offizielle Gedenkveranstaltung zum Atombombenabwurf, um dem Wesen der Erinnerung auf die Spur zu kommen – und mehr über ihre eigene Vergangenheit herauszufinden, die ihre demente Mutter ihr nicht mitteilen kann. Die Verständigungsschwierigkeiten, Johannas zögerliches Englisch, die langen Passagen auf Japanisch – all das passt zu Azumas Frage: Wie vermittelt sich Erfahrung? Klar wird: Der wahre Ort der Erinnerung ist das eigene Innere.

Die Regisseurin arbeitete an Originalschauplätzen, dem echten Friedensmuseum, offenbar auch mit echten Zeitzeugen. Nicht umsonst wurde „August“ im Juli beim Dokumentarfilmfestival in Marseille lobend erwähnt. Die Mittel des Dokumentarischen prägen auch andere nominierte Spielfilme. In „Fort“, einem Sechzigminüter der Georgierin Tinatin Gurchinai (HFF Babelsberg), geht es um den jungen Sandro, der nach dem Selbstmord eines Freundes alles von sich wirft, seine Sachen verbrennt und zusammen mit seiner Freundin Mari über die Müllkippen von Tiflis zieht. Der Spielhandlung zwischengeschaltet sind Interviews mit Müllsammlern und Jugendlichen, die mit den eindrücklichen, bisweilen sehr metaphorischen Bildern von Müllwüsten, Bretterbuden und Ruinen ein Georgien-Bild vermittelt, das trostloser nicht sein könnte. Stille, Leere, Qual: Das Schöne am Leben, sagt einer im Interview, sei, dass es keinen Sinn habe.

Die fünf Russinnen, die die Regisseurin Katja Fedulova in ihrer Dokumentation „Glücksritterinnen“ porträtiert, haben meist mehr Glück gehabt. 13 Jahre nachdem sie zum Studium nach Kiel gekommen sind, lässt Fedulova ihre damalige Clique – und sich selbst – Bilanz ziehen. Die fällt sehr unterschiedlich aus: deutscher Pass, italienischer Pass, Entzugsklinik, erstes Kind, schönes Zuhause, die Erwartungen der Mutter, verdrängte Traumata. Diese „Generation E“ ist keine homogene Gruppe. Ihre einzige, ihre stärkste Verbindung ist die gemeinsame Vergangenheit.

222 Filme wurden zum First-Steps- Award eingereicht, so viele wie nie in der Geschichte des seit 2000 jährlich verliehenen Branchenpreises. Nominiert wurden sechs Dokus, 16 Spielfilme in verschiedenen Längenkategorien sowie fünf Werbespots, die Preise werden am heutigen Dienstag im Theater am Potsdamer Platz verliehen. Insgesamt sind die Auszeichnungen mit 72 000 Euro dotiert. Ausgewählte Filme sind am Donnerstag ab 20.15 Uhr im Babylon Mitte zu sehen.

Die Dokumentation „Die Frau des Fotografen“ von Karsten Krause und Philip Widmann von der HBK Hamburg berührt weniger durch ihre Machart als durch ihr Thema. Gerti Gerbert wurde von ihrem Mann Eugen mehr als 40 Jahre lang fotografiert – ein ganzes Leben lang, meistens nackt. Schon wieder ich!“, sagt sie beim Durchschauen des Archivs, „immer ich!“ Gerti war Eugens Leben, Eugen, der Bahnbeamte, der Bilderwilde. Fotografieren war seine Art, „der Vergänglichkeit meiner Zeit in den Arm zu fallen“, das Glück festzuhalten.

Existenzielle Fragen wirft auch Jan Zabeil auf, mit seinem Spielfilm „Der Fluss war einst ein Mensch“ (HFF Babelsberg). Er begleitet seinen Schauspieler Alexander Fehling durch ein Flussdelta, geführt von einem alten Fährmann, nach dessen plötzlichem Tod dann allein. Eine improvisierte Irrfahrt, die Fremdheit spürbar werden lässt und Vergänglichkeit bewusst macht. Was bist du von Beruf, fragt der alte Mann den jungen Deutschen am Lagerfeuer. „Ich bin Schauspieler“, sagt der, „wissen Sie, was das ist?“

Ironischer, witziger, aber genauso tiefgründig: „Papa Gold“ von Tom Lass. Der Regisseur selbst spielt Denny, einen jungen Verantwortungsverweigerer, der zwischen Pfandflaschen und Tanga-Trophäensammlung in Berlin rumhängt und mit seiner charmanten Hässlichkeit Frauen abschleppt. Peter Trabner ist Stiefvater Frank, der ihn heimholen will zur Mutter, eigentlich aber selbst abhaut, vom anstehenden Babystress, von der Beziehung. Ein hektisch geschnittenes, doch nie gehetztes Indie-Meisterwerk.

Und noch ein „Papa“, nämlich die Geschichte von Umut Dag (Filmakademie Wien), der in 40 Minuten vom MachoRapper Murli erzählt, dem die Freundin abhaut (als er selbst: Murathan „Aqil“ Musl). Jetzt muss der Muckimann sich um seine Jungs kümmern, das Baby und den ständig heulenden Hosenscheißer, dabei wollen die Kumpels mit ihm Tracks aufnehmen und Frauen aufreißen gehen. Murli muss sich zusammennehmen, was ziemlich lustig ist, einerseits, und andererseits zeigt, wie leicht und zugleich schwer der Aufbruch in ein neues Leben sein kann. Auch wenn das neue Leben nur so lange dauert, bis Mama wieder da ist.

Mehr Infos: www.firststeps.de

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