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Kultur: Delle der Weisheit

Noch ein Jahr bis zur Fußball-WM – doch Deutschlands Dichter haben sich schon einen Reim gemacht

Fußball und Poesie? Hatten wir doch gerade noch und ganz entscheidend auf dem Platz. Gerade mal zwölf Stunden war es her, dass in Frankfurt beim Endspiel des Konföderationenpokals Brasilien gegen Argentinien der Brasilianer Kaká kurz vor seiner Auswechslung einen Pass quer übers Feld auf Ronaldinho geschlagen hatte, der eine Ode wert gewesen wäre, ach, zwei. Wer aber sänge sie? Wer aber fände Worte? Eckhard Henscheid, der einmal die Gattung der Lyrik wählte, um den damals bei der Frankfurter Eintracht fightenden Bum Kun Tscha zu feiern? Oder Albert Ostermaier, bei dem laut den Tagebuchauskünften von Helmut Krausser immer der Single Malt in Strömen fließt, wenn der FC Bayern guten und nicht nur ergebnisorientierten Fußball zusammenbringt?

Dichter Ostermaier trat in München zusammen mit Ulrike Draesner, Franzobel, Urs Widmer und Robert Gernhardt im Rahmen der Aktion „Literaturhaus bringt Poesie in die Stadt!“ auf. Letzterer reimt: „Denn Hand- wie Foulspiel öffnen Türen/die statt ins End- zum Nachspiel führen/Doch stets gilt, dass der Weg das Ziel ist, weil nach dem Spiel schon vor dem Spiel ist.“ Man sieht: Es ist nicht leicht, den Lauf des Balles zu berühmen und zu verdichten, selbst für Kenner der Materie und Könner des Fachs.

Nick Hornby nämlich: ham wa nich. Ein großer Fußballroman wie „Fever Pitch“ ist in Deutschland inexistent, und da man so etwas nicht in Auftrag geben kann, will es der Zusammenschluss der Literaturhäuser Berlin, Stuttgart, Hamburg, Frankfurt, Salzburg, München, Köln und Leipzig wenigstens mit kleineren Formaten versuchen. Also werden in den nächsten Wochen Plakate in diesen Städten auftauchen, auf denen einem im Gedicht paraphrasierte Weisheiten Sepp Herbergers entgegenleuchten. Péter Esterházy beispielsweise beichtet in einer „melancholischen Zusammenfassung der Lebenserfahrungen eines Altfußballers“, dass das nächste Spiel mitnichten das schwerste sei. Im Gegenteil: „Das schwerste ist, wenn es kein Spiel gibt. Es gibt kein Spiel,/ und es dauert doch 90 Minuten.“ Das Kollektiv der Literaturhäuser lässt in den Austragungsorten der Fußball-WM ungefähr 5000 Flächen plakatieren. So könnte der Fußball selbst in jener Zeit Gesprächsthema bleiben, die erfahrungsgemäß zu den ereignislosesten für Fußballianer gehört. Schließlich hat die Liga Ferien.

Bis zum 20. Juli veranstalten deswegen die Literaturhäuser literarische Fußballabende, bei denen eine Rückbesinnung stattfinden soll auf Dichter, deren Werk um den Fußball kreist: Friedrich Torbergs Texte zum Beispiel über dessen Affinität zum Wiener Wunderstürmer Mathias Sindelar fielen einem da ein und vieles von Ror Wolf natürlich – dann aber wird es schon beinahe marginal, wie bei Nobelpreisträger Günter Grass, dem für die Plakatwand ein Vierzeiler unter der Überschrift „Der Ball ist rund“ eingefallen ist.

Die Defizite beim Dichter hinsichtlich vollendeter fußballerischer Schwärmerei sind denn auch erkannt, was unter anderem bei den Organisatoren zum Wunsch geführt hat, es möchten sich die Dichterinnen hierzulande besser aufstellen. Das Netzwerk der Literaturhäuser protegiert also eine – noch nicht vorhandene – Damenelf, deren noch zu schreibende Anthologie im nächsten Frühjahr bei Luchterhand erscheinen soll. Elfriede Jelinek immerhin ist auf links schon mal alleine vorgeprescht mit: „Die Wahrheit liegt auf dem Platz. / Die Wahrheit liegt unter dem Platz. / Die Wahrheit ist doch gekauft.“ Und so weiter, bis: „Die Wahrheit: hochriskant! Ein Leben im Rausch der Kohle. / So etwas passiert.“

Man sollte das natürlich erst einmal auf sich wirken lassen, aber es nützt nicht viel. Das fußballliterarische Gedächtnis bleibt fürs Erste noch besetzt von einem anderen, schlichtweg vollendeten poetischen Bild: Es ist jener poetische Pass von Kaká. Von seinem unbeschreiblichen Tor zu schweigen.

Beim Poesie-Fest im Literaturhaus Berlin am 9. Juli ( 19 Uhr) lesen Ulrike Draesner und Friedhelm Ptok Fußball- und Sporttexte von Joachim Ringelnatz bis Ror Wolf. Alle Poesie-Fest-Termine unter www.literaturhaeuser.net

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