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Kultur: Dem I-love-you-Virus zum Trotz: Das Internet und die Informationsgesellschaft eröffnen den Deutschen große Chancen

Wie gut ist Deutschland auf die Globalisierung vorbereitet, ist die Gesellschaft bereit, sich auf internationalen Wettbewerb einzulassen? Erkennt das Land darin eine Chance oder setzen sich die Bedenkenträger durch?

Wie gut ist Deutschland auf die Globalisierung vorbereitet, ist die Gesellschaft bereit, sich auf internationalen Wettbewerb einzulassen? Erkennt das Land darin eine Chance oder setzen sich die Bedenkenträger durch? Welche Veränderungen kommen auf die Bundesrepublik zu und welche Risiken? In einer gemeinsamen Serie mit DeutschlandRadio Berlin gehen prominente Autoren dieser Frage nach. DeutschlandRadio Berlin sendet die Beiträge jeweils am Sonntag um 12 Uhr 20 (UKW 89,6) in der Reihe "Signale - Gedanken zur Zeit".

Wir erleben eine Revolution: Das Zusammentreffen des Wandels von der Industrie- zur Informationsgesellschaft und des Übergangs von der Nationalität in die Globalität, die Aufhebung von sozialen und gesellschaftlichen Strukturen. Die Informationsgesellschaft wird die gesellschaftliche Ordnung so erschüttern, wie der Übergang von der Agrar- in die Industriegesellschaft, die Grundstrukturen des Zusammenlebens aufgehoben und neu definiert hat.

Die Industriegesellschaft war national ausgerichtet, ein großer Teil der Wertschöpfung kam aus der schweren körperlichen Arbeit der typischen Industrieberufe. Die Informationsgesellschaft wird international ausgerichtet sein. Vernetzte und damit zeit- und ortsunabhängige Arbeit, mit Teamwork, vernetztem Denken außerhalb klar definierter Strukturen und der Fähigkeit zu interkulturellen Arbeiten zeichnen sie aus. Heute schon ist das Verhältnis von Spezialisten zu Industriearbeitern 3 zu 1.

Heute sind Wissen und Humankapital Mittelpunkt der Wirtschaft. Schätzungen der Weltbank zufolge, verdanken die reichen Länder zwei Drittel ihrer Wertschöpfung dem Humankapital. Dem Sachkapital - Maschinen, Gebäuden, Infrastruktur - und den Naturschätzen werden nur noch je ein Sechstel der Wertschöpfung zugerechnet. Produktionsfaktor Nummer eins ist das Wissen - die Fähigkeit, Informationen zu analysieren und effektiv einzusetzen.

Mit dem Internet wird Information in noch nie erreichter Geschwindigkeit ein allgemein zugängliches Massengut. Bis die Erfindung der Dampfmaschine von Watt auf dem Kontinent bekannt wurde, dauerte es 40 Jahre. Das Telefon hatte nach 55 Jahren 50 Millionen Nutzer, das Radio nach 38 Jahren, das Fernsehen nach 13 Jahren - das Internet überschreitet die 50-Millionen-Grenze schon nach drei Jahren. Der Datenverkehr über Internet und e-mail verdoppelt sich heute alle 100 bis 200 Tage. Täglich gehen 170 000 neue User in das Netz - alle 20 Tage so viele Menschen, wie Berlin Einwohner hat. Die "neue Wirtschaft" ist auf Wissen gegründet. Heute übertreffen die Daten, die täglich zwischen den 49 Millionen Internet Rechnern ausgetauscht werden, der Menge nach das gesamte Wissen der Menschheit des 19. Jahrhunderts. Der Bestand an wissenschaftlichen Kenntnissen verdoppelt sich alle fünf bis sechs Jahre. Konsumentenideen, Informationen und Technologien sind wesentliche Bestandteile des Produktes.

Allerdings drohen mit der Entwicklung zur Informationsgesellschaft wachsende gesellschaftliche Ungleichheiten: zwischen jenen, die auf der Basis einer guten und adäquaten Ausbildung in der Lage sind, sich schnell und problemlos den technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen, und jenen, die dies nicht können, zwischen Benutzern und Verlierern.

Deutschlands Chancen in der Informationsgesellschaft könnten großartig sein. Wir haben grundsätzlich ein hervorragendes Ausbildungs- und Bildungssystem. Forschung und Bildung sind weltweit anerkannt. Aber wir müssten zukunftsorientiert ausbilden. Das Internet ist jetzt schon eine wichtige Infrastruktur für sämtliche Lebensbereiche. Über dieses Medium, dessen Einsatz und Leistungsfähigkeit muss eine umfassende Aufklärung und eine frühzeitige, intensive Auseinandersetzung stattfinden. Der Umgang mit dem Internet muss Alltag sein. Das kann nur erreicht werden, wenn die schulische, universitäre und berufliche Aus- und Weiterbildung den Umgang damit zu einer Alltäglichkeit macht. In Finnland sind 100 Prozent der Schulen mit einem Internet-Anschluss ausgestattet, in den USA 95 Prozent, in Kanada sind es 80 Prozent, in den Niederlanden 40 Prozent, in Deutschland lediglich 20 Prozent der Schulen.

Der verbesserte Umgang mit Information und Wissen tritt in der Wirtschaft - aber auch in Verwaltungen und anderen Institutionen - als wichtiges Element der Wertschöpfung hervor. Die Suche und die ständige Verbesserung von Wissen ist heute eines der zentralen Probleme der Steuerung von Organisationen und Unternehmen. Wir müssen unseren Kindern den so genannten Bildungskanon des Abendlandes beibringen - und damit die Fähigkeit, Informationen in Wissen umzuwandeln. Unsere Kinder müssen die neuen Technologie beherrschen, denn sie werden nicht nur Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt aus dem eigenen Land haben, sondern aus allen Teilen der Welt.Der Autor ist Vorsitzender der Geschäftsführung von IBM-Deutschland. Der nächste Beitrag von Annette Schavan, Kultusministerin von Baden-Württemberg, über die Familie im Zeitalter der Globalisierung, erscheint in dieser Woche und ist bei DeutschlandRadio am kommenden Sonntag zu hören.

Erwin Staudt

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