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Kultur: Dem Verborgenen entgegen

Die „Manuskripte“ veröffentlichen ihr 200. Heft.

Von Gregor Dotzauer

Keine deutschsprachige Literaturzeitschrift lebt so sehr von der Person ihres Herausgebers wie die Grazer „Manuskripte“. Und zugleich tritt er nirgends so weit hinter das Projekt zurück wie hier. Alfred Kolleritsch, 1931 in der Südsteiermark geboren, ist ein Ermöglicher von durchdringender Zurückhaltung, der Patron einer Gemeinschaft von Autoren, die Schreiben als Weiterschreiben verstehen – Minenarbeiter im Bergwerk der Sprache, durch das andere schon zu viele Stollen getrieben haben, als dass man noch einmal von vorn anfangen könnte. Es geht, wie es der Schutzgeist in einer der 200. Ausgabe vorangestellten „Marginalie“ mit metaphorischem Wagemut formuliert, seit 52 Jahren darum, „dem Verborgenen entgegen zu warten, mit der Brechstange des Wortes nichts unbefragt sein zu lassen“. Gezeichnet: A.K.

Im Jubiläumsheft mit Telefonbuchcharakter und 78 Beiträgern rückt der sich selbst Marginalisierende aber schon nach wenigen Seiten ins Zentrum – nicht nur, weil Freunde und Kollegen auf der beiliegenden CD einige seiner Gedichte eingelesen haben. Andrea Stift erklärt Kolleritsch so emphatisch zum Zentrum eines sich immer weiter ausdehnenden Universums, dass sich die Frage nach dem Kollaps aufdrängt. Der „langsam leiser werdende Urknall“ war einst die Gründung des Forums Stadtpark. Die „Manuskripte“, längst auch ein Spielplatz für Bundesrepublikanisches, waren seine Hauszeitschrift, bevor sie sich 1996 auf eigene Füße stellten. Das sprachexperimentelle Erbe, nicht nur der Wiener Gruppe um H. C. Artmann, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, dessen in Fortsetzung gedruckte „Verbesserung von Mitteleuropa“ Mitte der sechziger Jahre ganz Österreich skandalisierte, ist noch zu spüren und findet in Texten von Oswald Egger oder Erwin Einzinger seinen aktuellen Niederschlag.

Daneben gibt es seit Jahren eine sensibilistische Richtung. Für sie steht neben Kolleritschs Weggefährten Peter Handke, der mittlerweile auch die unbedeutendste Bleistiftnotiz („Stille Ausrufe“) für mitteilenswert zu halten scheint, allerlei Handkelndes: mikrologische Beobachtungen von Ingeborg Horn oder Helmut Färber, die oft prägnanter sind als ihr fernes Vorbild. Dazu Erstveröffentlichungen von Clemens Setz und Monique Schwitter – um den Nachwuchs muss sich niemand sorgen. Gregor Dotzauer

Manuskripte.

Zeitschrift für

Literatur. 200. Heft der Gesamtfolge.

Mit CD. 404 S., 18 €. www.manuskripte.at

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