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Demokratie: Stunde der Zivilisation

In der Krise erstarken radikale Kräfte an den linken und rechten Rändern. Die fängt nur ab, wer die Verängstigten ernst nimmt.

Von Caroline Fetscher

Der Nobelpreisträger für Wirtschaft war ratlos. Gefragt, ob er der BBC im Interview Rede und Antwort zur gegenwärtigen Krise auf den Finanzmärkten stehen könne, schickte Clive Granger am Sonnabend eine kurze E-Mail an die Radioredakteure von "World Today" mit der Erlaubnis, sie vorzulesen: "Ich äußere mich gegenwärtig überhaupt nicht zur Situation, da ich genauso verwirrt bin wie alle anderen" - "just as confused as everybody else." Wenigstens sei er ehrlich, freute sich der Moderator, hörbar erleichtert.

Im Klima von Angst und Anspannung ist jede Aufmunterung willkommen, und Minuten später durfte der Kabarettist Austin Tichenor in derselben, seriösen Nachrichtensendung eine rasante Satire über die "Vereinigten Sozialistischen Staaten von Amerika" vortragen.

So bedrohliche Dinge wie die elegant als "Liquiditätslücken" beschriebenen Milliardenlöcher bei Bankkonzernen tun sich jetzt auch auf unserer Seite des Atlantiks auf. Wörter wie "Desaster" und "Kollaps" werden inflationär, die Akropolis des Geldes schwankt. "Bricht die Weltwirtschaft zusammen, ist Gold die beste Anlage", sagte ein Berater der Deutschen Bank vergangene Woche der "Bild"-Zeitung. Andere Berater im selben Test rieten von der Feinunze als Sicherung wider die Finanzkrise ab. Nicht nur der "Spiegel" beschwört heute auf der schwarzen Titelseite die "Angst vor der Angst".

Volksparteien werden gebraucht werden gebraucht wie selten zuvor

Aus der Angst vor dem Zerfall der Fundamente des Kapitalismus werden dessen fundamentalistische Gegner politisches Kapital zu schlagen suchen. In Deutschland findet man sie, wie fast überall, am rechten oder linken Rand des Parteienspektrums, und wie die jüngsten Wahlen zeigen, ist gerade die Linke derzeit auf dem Vormarsch. Mit jeder Milliarde, die sich auf dem Markt auflöst, kann sie Stimmen gewinnen und damit, parallel zur Erosion des Finanzwesens, die Erosion der großen Volksparteien weitertreiben. Doch gerade deren ernsthafter Wettbewerb um Lösungen, die sozial- und marktverträglich wären, wird jetzt gebraucht wie selten zuvor in der Nachkriegsgeschichte.

Wollen die Sozialdemokraten nicht noch mehr Wähler an ihr Spaltprodukt, die postmoderne Variante der USPD, verlieren, täten sie gut daran, die Anhängerschaft der linken Angstpartei vollkommen ernst zu nehmen. Anstatt die flamboyanten politischen Leitfiguren der Linken, Gysi und Lafontaine, zu attackieren, anstatt sich nur auf die Köpfe der Partei zu konzentrieren, sollen und müssen Sozialdemokraten die Wähler dieser Partei ansprechen und nicht die Führung der Partei denunzieren - denen diese Leute ja offenbar trauen und auch etwas zutrauen. Was die so genannten Protestwähler wollen, wünschen und fürchten ist ja keineswegs lächerlich, und es muss gelingen, nicht despektierlich über sie, sondern respektvoll zu ihnen und mit ihnen zu sprechen.

Kluge Strategie: Endlich die Forderungen der Linken ernst nehmen

Zu den massiven Gefahren von Krisenzuständen gehört das Kreisen der Betroffenen und Handelnden um sich selbst. Genau davon profitieren allemal die politischen Krisengewinnler, die der Krise als Zaungäste oder selbsternannte Wunderheiler in spe zusehen - jedenfalls profitieren sie, solange man sie lässt. Spätestens jetzt ist die Zeit da, sich aktiv und gezielt den wegdriftenden Wählerschichten zuzuwenden. Es wäre ein Merkmal politischer Zivilisiertheit und erwachsener Integrität, ihre Ideale, ihr politisches Begehren nicht zu denunzieren, indem man sie selber ignoriert.

Zu einer klugen Strategie im Umgang mit der Linken muss es gehören, ihrer Basis das Vertrauen zu geben, dass ihre Anliegen - mehr Gerechtigkeit, stärkere Umverteilung, soziale Sicherheit - anerkannt und geachtet werden. Je mehr sie marginalisiert werden, desto eher bleiben sie bei eben der Randposition, aus der heraus sie ursprünglich enttäuscht die SPD verlassen haben. Je weniger man ihnen klar und laut den Status gleichrangiger Citoyens zuerkennt, desto eher richten sie sich in Opferhaltungen ein, wie sie - neben gemeinsamen Verschwörungstheorien - die gemütliche Atmosphäre von Randparteien herstellen. Direkt angesprochen, ernst genommen, zur Kooperation, gegebenenfalls auch Koalition bewegt, können Traumsegler in der tagespolitischen Praxis Realismus und Pragmatismus entwickeln. Das demokratische Rezept dafür hat zwei gute Begriffe: Inklusion und Partizipation.

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