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Kultur: Demokratische Säulen für die Prager Akropolis

Ein Ereignis: Das Tschechische Zentrum Berlin zeigt eine Teilübernahme der großen Retrospektive des Architekten Josip PlecnikVON BERNHARD SCHULZFür Architekturbegeisterte bedeutete die große Prager Retrospektive zu Josip Plecnik einen, wenn nicht den Höhepunkt des Sommers 1996.Das steht nur scheinbar im Widerspruch zu der Tatsache, daß Plecnik nicht zu den großen "Namen" des 20.

Ein Ereignis: Das Tschechische Zentrum Berlin zeigt eine Teilübernahme der großen Retrospektive des Architekten Josip PlecnikVON BERNHARD SCHULZFür Architekturbegeisterte bedeutete die große Prager Retrospektive zu Josip Plecnik einen, wenn nicht den Höhepunkt des Sommers 1996.Das steht nur scheinbar im Widerspruch zu der Tatsache, daß Plecnik nicht zu den großen "Namen" des 20.Jahrhunderts zählt.Das seit der Erschöpfung des International Style wiedererwachte Interesse an einer "anderen" Moderne, einer Architektur jenseits des Kanons von Funktionalismus und Sachlichkeit, hat auch das Werk des 1872 geborenen Slowenen in den Blickpunkt des Interesses gerückt.Der Ertrag der neueren Forschung ist reich; und noch gar nicht abzusehen ist, welche Anregungen aus diesem so eigentümlichen Werk gewonnen werden können.Die Ausstellung von 1996 war in ihrer atmosphärischen Dichte an den Ort gebunden: Sie fand auf der Prager Burg statt, deren heutige Gestalt als Gesamtkunstwerk sich nicht zuletzt der jahrelangen, nahezu jede andere Entwurfstätigkeit verhindernden Arbeit Ple«cniks verdankt.Doch die Fotografien, die Fülle neugefertigter Modelle, die ganze Aufbereitung des Materials: Das zumindest blieb jenseits des originalen Schauplatzes und der unwiederholbaren Inszenierung von 1996 verfügbar.Zudem ist der 664 Seiten starke Ausstellungskatalog - ein vorzügliches Kompendium zu Ple«cnik - mit geraumer Verzögerung erst im vergangenen Jahr erschienen und dient der Zweitversion der Prager Retrospektive ideal als Begleitbuch.Das Tschechische Zentrum in der Leipziger Straße hat nämlich die Initiative ergriffen und eine konzentrierte Auswahl aus dem reichen Prager Fundus getroffen, die sich unter dem Titel "Josip Ple«cnik.Architektur für Prag" auf die mittlere Schaffenszeit des Architekten beschränkt.Sie fällt mit den Jahren zwischen den Weltkriegen und damit der knapp bemessenen Zeit der ersten tschechoslowakischen Republik zusammen.Plecnik, der in Wien studiert und dort zwei bedeutende Bauten hinterlassen hat, wurde als Architekt der Burg gewissermaßen der Staatsbaumeister der jungen Republik, mit dessen charismatischem Präsidenten Tomás G.Masaryk ihn wechselseitige Wertschätzung verband.Jeder Besucher des Hradschin kennt die Eingriffe, die Plecnik vorgenommen hat, jedenfalls soweit sie die öffentlichen Flächen betreffen.Doch die wenigsten nehmen sie als solche wahr, sondern genießen die Gestaltung der Höfe und vor allem der südlichen Gärten ohne Kenntnis von Anlaß, Zeitpunkt und Ausmaß der baulichen Maßnahmen.Darüber hinaus hat Plecnik die Raumflucht des Staatspräsidenten mit der Privatwohnung und der Bibliothek umgestaltet.Dieser Trakt mit herrlichen Ausblicken auf die Stadt ist der Allgemeinheit nicht zugänglich, so daß das volle Wechselspiel von Innen- und Außengestaltung, von architektonischen, dekorativen und kunsthandwerklichen Entwürfen verborgen bleibt, das Plecniks Îvre auszeichnet, vergleichbar dem anderer großer Reformer des 20.Jahrhunderts.Um so verdienstvoller ist es, daß das Tschechische Zentrum nicht nur eine erstaunliche Anzahl der 1996 angefertigten Modelle - von der Gesamtansicht der Burggärten bis zu 1:1-Modellen von Kapitellformen - besorgt hat, sondern auch eine Reihe von Originalmöbeln aus dem Präsidialflügel des Hradschin.Hervorragende Farbfotografien zeigen die realisierten Baumaßnahmen Plecniks, der seit 1911 in Prag gelehrt hatte, bevor ihn Masaryk 1920 zum Burg-Baumeister berief.Der Besucher betritt den dicht, aber nicht drängend bestückten Ausstellungssaal quasi durch ein zweigeteiltes Modell - nämlich der "aufgeschnittenen" Treppe, die - ein wagemutiger Eingriff Plecniks in die Substanz - den dritten Burghof mit der zwei Geschosse tiefer liegenden Gartenanlage verbindet.Niemand erlebt diese halb im Gebäude, halb im Freien verlaufende Treppenanlage als Fremdkörper; im Gegenteil wirkt sie harmonisch in den historischen Kontext integriert, obgleich sie sich bei näherem Hinschauen als neuzeitlich verrät.Dieses Vexierspiel mit dem Formenkanon von Säulen, Kapitellen, Obelisken, Brunnenschalen und Balustern ist es, das die überaus verantwortungsbewußten Umbauten kennzeichnet, nicht zuletzt bei der Gestaltung der vor seiner Arbeit reichlich verwahrlosten Burggärten.Plecnik ist kein Historist, aber er auch kein programmatischer Neuerer.Ihn zeichnet ein wunderbares Raumempfinden aus, das ihn - abgesehen von manchen Phantasien der Spätzeit im heimischen Ljubljana, wo er 1957 verstarb - davon abhält, stürmisch draufloszukombinieren.Stattdessen genügt ihm ein einzelner, asymmetrisch angeordneter Obelisk, um den dritten Burghof - mit der Seitenfassade des Veitsdomes - zu akzentuieren, oder eine ebenmäßige Schale, um der überraschend monumentalen Freitreppe hinunter in den "Paradiesgarten" ein ganz selbstverständliches Ziel zu geben.Plecnik suchte dem Hradschin als der "tschechischen Akropolis" ein nationales Gepräge zu geben, ohne die habsburgisch-barocke Substanz zu verleugnen.Die Suche nach einer zugleich nationalen und modernen Formensprache führte ihn zur schöpferischen Anverwandlung traditioneller Elemente - etwa der klassischen Säulenordnung -, aus denen er typische Motive wie die vor ein Rundfenster gestellte Säule komponierte.Als Ausdruck der bürgerlichen Demokratie der Masrayk-Jahre wurde Plecniks Werk unter dem Kommunismus totgeschwiegen, die Burggärten blieben verschlossen.Um so stärkeren Anteil nimmt Vaclav Havel an dem ihm als "Burgherren" zugefallenen Erbe; von ihm, dem Präsidenten der Republik, ging die Initiative zur Prager Retrospektive von 1996 aus die die Verwaltung des Hradschin mustergültig organisiert hat.Ob man Plecniks Bauten als "demokratisch" bezeichnen kann, sei dahingestellt.Es ist dies zuallererst das Werk eines großen Einzelnen, das sich in die weite Strömung einer "anderen", traditionsbewußten Moderne der ersten Jahrhunderthälfte einfügt.Für Berlin mit seiner Rasterarchitektur ist die Plecnik-Ausstellung jedenfalls ein Ereignis. Tschechisches Zentrum, Leipziger Straße 60, bis 19.Juni (Eröffnung heute, Donnerstag, 19 Uhr).Mo - Fr 13-18 Uhr.Vortrag 8.Mai, 20 Uhr; Film (in engl.Sprache, 60 min) 19.Mai, 20 Uhr (sonst als Video in der Ausstellung zu sehen; Kassette 20 DM).Kurzführer zu den Prager Bauten Plecniks 15 DM.Katalogbuch der Prager Ausstellung (in engl.Sprache), geb., 160 DM.

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