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Kultur: Den Bestien entkommen

Bewegend: Aliza Auerbachs Fotografien von Holocaust-Überlebenden im Centrum Judaicum

Drei Kartoffeln hatte Sara Rubin vom Feld mitgenommen. Dafür soll sie sterben. Der Strick liegt ihr schon um den Hals, als die Alliierten das Lager von Theresienstadt bombardieren. Das 17-jährige Mädchen überlebt die Schoah. Sara Rubin, geboren in Polen, muss sich ein neues Leben aufbauen, in Israel. Ihr altes haben die „Menschenbestien, wie die Deutschen genannt werden, gestoppt“, so sagt sie. Inzwischen ist Sara Rubin eine alte Dame von über 80 Jahren. Umringt von ihrer Familie sitzt sie auf dem Bild, das die Fotokünstlerin Aliza Auerbach von ihr gemacht hat. An ihrer Seite ist ihr Mann, ebenfalls ein Überlebender des Holocausts. „Überlebende, Survivors, Nitzolim“ heißt deshalb auch die Ausstellung, die zurzeit im Centrum Judaicum neben einer Videoinstallation von Ruth Kuperman, Ola Lewin und Frank Blum in der Neuen Synagoge zu sehen ist.

Aliza Auerbach hat fünf Jahre lang Menschen besucht, die einst aus allen Teilen Europas nach Israel geflohen sind und dort Familien gründeten. Ein klares Statement vertreten diese Bilder. Seine Familie, sagt Zev Birger, einer der Porträtierten, sei eine Antwort auf die Schoah. Weil er und seine Frau in ihr Werte weitergeben, „Herzenswärme, Verantwortung, Freundschaft“. Die 87-jährige Shulamit Catane hat eine unglaubliche Nachkommenschaft, 140 Urenkel, 81 Enkel und 11 Kinder. Das Gruppenfoto ist ein Schnappschuss, ein Durcheinander verschiedener Generationen, religiöser, säkularer und ultraorthodoxer Juden. Ein paar Jungen machen Faxen, Mädchen stecken die Köpfe zusammen. Dazwischen: eine lächelnde alte Dame mit wachen Augen, Shulamit Catane. Die Schmerzen der Vergangenheit sind nicht sichtbar. Nicht in diesem Bild.

Die Fotokünstlerin hat neben den großen Gruppenaufnahmen auch Einzelporträts der Überlebenden gemacht. Alte Gesichter in Schwarz-Weiß, voller Falten und Furchen. Die meisten schauen nicht direkt in die Kamera. Ihr Blick schweift ab. Wer weiß schon, woran sie gerade denken.

Nicht alle haben mit ihren Kindern und Enkeln über den Holocaust gesprochen. Manche tragen die Spuren für alle sichtbar. So wie Jacques Stroumsa, der neben seiner Frau Laura auf dem Sofa sitzt, in einem kurzärmeligen Hemd. Auf dem Unterarm ist deutlich die eintätowierte Häftlingsnummer zu sehen. Stroumsas Vater, Mutter, Bruder und Frau sind gerade erst in der Gaskammer getötet worden, als ein Kommandant in den Raum tritt und fragt, wer ein Instrument beherrsche. Stroumsa ist Geiger. Ihm ist nicht nach Spielen zumute, doch die Gefangenen bedrängen ihn und so spielt er Mozarts Violinkonzert aus dem Kopf. Der gebürtige Grieche wird erster Geiger im Konzentrationslager Birkenau.

Das Schöne an der Ausstellung ist, dass es drei unterschiedlich intensive Annäherungen an das Thema gibt. Die heiteren, bunten, lebensfrohen Familienfotos. Die einfühlsamen, ruhigen, inszenierten Einzelporträts – und ausliegende Texte, persönliche Erinnerungen der Überlebenden. Die lesen sich schonungslos.

1940 wurde Aliza Auerbach in Haifa geboren, ein Jahr zuvor waren ihre Eltern von Köln nach Israel emigriert. Die Geschichte ihrer eigenen Verwandten hat sie erst im Laufe ihrer Arbeit zur Fotoserie erfahren. Der Großvater war im KZ Dachau interniert. Er überlebte und ging nach dem Ende Hitler-Deutschlands in die USA. Er sei ein anderer Mann geworden, sagt Auerbach. Wie zur Besänftigung hängen in einem zweiten Raum Fotografien vom Mittelmeer. Sonnenreflexe hüpfen auf den Wellen, die See sieht aus wie ein Sternenhimmel. Anna Pataczek

Centrum Judaicum, Oranienburger Str. 28/30, bis 27.1.2011, So-Mo 10-20 Uhr, Di–Do 10-18 Uhr, Fr 10-17 Uhr

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