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DENKEN: Genen ist nicht zu trauen

Für Immanuel Kant gab es genau vier Fragen, die sich ernsthaft denkende Menschen stellen müssen: Wir beantworten sie, nicht immer ganz ernst gemeint, mit dem Hinweis auf eine besonders empfehlenswerte Veranstaltung im Vortrags-, Lesungs- und Debattendickicht Berlins – und den Menschen, der dahintersteht. Was kann ich wissen?

Für Immanuel Kant gab es genau vier Fragen, die sich ernsthaft denkende Menschen stellen müssen: Wir beantworten sie, nicht immer ganz ernst gemeint, mit dem Hinweis auf eine besonders empfehlenswerte Veranstaltung im Vortrags-, Lesungs- und Debattendickicht Berlins – und den Menschen, der dahintersteht.



Was kann ich wissen?

Von wegen: alles genetisch. Das Gen gibt es gar nicht. Vielmehr handelt es sich um ein epistemisches Objekt, einen Forschungsgegenstand, anhand dessen Wissen organisiert wird. Zwar bildete die Vererbungslehre das zentrale Thema der Biologie, was das viel beschworene Gen aber genau sei, wurde nie eindeutig definiert. Im Gegenteil, führten gerade die Versuche einer Festlegung zu neuen Erkenntnisgewinnen und damit zur Auflösung sicher geglaubter Positionen. Mittlerweile sind die Lebenswissenschaften im Zeitalter der „Postgenomik“ angekommen. Diese erforscht nicht mehr nur Chromosomenabschnitte, sondern ganze Chromosomensätze – und sieht sich hier mit neuen Fragen konfrontiert. Immer weniger erscheint das Gen als starre Information und dafür zunehmend als Ressource, die unterschiedlich mobilisiert werden kann. Diese neue Perspektive wird Auswirkungen auf das künftige Reproduktionsverhalten der Menschen und die medizinische Therapie haben. Und sicherlich auch auf die populären Vorstellungen darüber, in welchem Maße „alles genetisch“ ist und wir unserem Schicksal ausgeliefert sind.



Was soll ich tun?

Das Museum für Naturkunde bildet den stilechten Rahmen für den Vortrag „Von der Doppelhelix zur Postgenomik“, den Hans-Jörg Rheinberger am Donnerstag um 19 Uhr halten wird (Invalidenstr. 43). Vorab bringt mich die Sonderausstellung „Entwicklungen – 60 Jahre Entdeckung der DNA-Struktur“ auf Stand. Außerdem melde ich mich an (Telefon 2093-8550 oder besucherservice@mfn-berlin.de).



Was darf ich hoffen?

Wer denkt, dass sich Forschung gradlinig auf die Wahrheit zubewegt, irrt. In einem Essay zitiert Rheinberger den jüngst verstorbenen Genetiker und Nobelpreisträger für Medizin, François Jacob: „Was wir heute vermuten können, wird nicht Wirklichkeit werden. Veränderung wird es auf jeden Fall geben, doch wird die Zukunft anders sein, als wir glauben.“ In diesem Fall hoffen wir besser auf nichts. Statt dessen blicken wir zurück auf die Wissenschaftsgeschichte der Genetik und Molekularbiologie, um für Künftiges gerüstet zu sein.



Was ist der Mensch?

Hans-Jörg Rheinberger ist Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Doch schon die Wahl seiner Studienfächer – Philosophie, Soziologie, Linguistik und Biochemie – zeigt ein Denken, das sich nicht an disziplinären Grenzen orientiert. Dies gilt nicht nur für die Erforschung der „Wissensräume“, die einen seiner Schwerpunkte bilden. Der Molekularbiologe hat auch gemeinsam mit Hanns Zischler die „Grammatologie“, das epochale Werk des französischen Philosophen Jacques Derrida über die Schrift, übersetzt – und außerdem noch Gedichte publiziert. Elke Brüns

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