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Herbst eines Berserkers: Dennis Hopper 2008.

© dpa

Dennis Hopper: Good bye, Easy Rider!

Dennis Hopper, der exzentrische Filmschauspieler, Maler und Fotograf ist im Alter von 74 Jahren gestorben. Wer war der Mann, dem Mainstream-Kino gleichgültig blieb, der mit Peter Fonda in "Easy Rider" der Hippie-Generation ein Denkmal setzte?

Der absolute Tiefpunkt ist erreicht, als er sich eine Sauerstoffmaske über Mund und Nase zieht. Gierig inhaliert er, saugt das Gas ein, als erstickte er, und rutscht auf Knien auf die Frau zu, die mit gespreizten Beinen auf einem Stuhl vor ihm sitzt. Sie hat einen Morgenmantel aus blauem Samt an. „Mama“, stammelt der Mann, den alle nur Frank nennen. „Baby möchte ficken!“ Er lässt sich den gierigen Mund mit blauem Samt stopfen. Tiefer als in dieser Szene aus „Blue Velvet“ konnte Dennis Hopper nicht mehr sinken. Es war ein Höhepunkt seiner Karriere.

Dennis Hopper war Mitte der achtziger Jahre in Hollywood abgeschrieben. Als „unangepasst“ hatte Hopper schon immer gegolten. Reihenweise hatte er Regisseure mit seiner Renitenz und seinem Ungehorsam in den Wahnsinn getrieben. Aber beinahe drei Liter Rum, die er Anfang der Achtziger täglich in sich hineinschüttete, und Unmengen an Kokain schienen den letzten Rest an Ehrbarkeit in ihm zu ruinieren. Er ertränkte Filme im Suff und verwandelte sich mehr und mehr in den Fotoreporter auf Todestrip, den er in „Apocalypse Now“ verkörpert hatte. Als Method-Actor, der mit seiner Rolle verschmelzen wollte, ging Hopper immer mehr in einer paranoiden Welt verloren. Die Rolle des Kriegsreporters habe ihn „an einen Narren erinnert, dessen Kostüm überall geheime Taschen hat", erzählte Hopper einmal. "Ursprünglich pflegte er die Rätsel der Welt zu kennen und ihre Geheimnisse in seinen Taschen zu verbergen. Doch er hat vergessen, wie er sie benutzen soll“.

"Ich muss diesen Frank spielen!"

Auch für „Blue Velvet“-Regisseur David Lynch war Hopper nicht die erste Wahl, als er eine Besetzung für seinen psychopathischen Gangster Frank Booth suchte. Aber Hopper soll ihn rumgekriegt haben: „Ich muss diesen Frank spielen, ich bin Frank“. Da hatte er seine erste Entziehungskur hinter sich. Lynch wollte einen Dämon, und Hopper war genau der Richtige, um den Selbstekel des Süchtigen mit der Unberechenbarkeit eines Mannes auf Entzug zu verbinden. Ein Experte des Rausches war er. In Hollywood gab es lange keinen, der es in der Verkörperung von Niedertracht, Brutalität und Abschaum mit Hopper hätte aufnehmen können. Seine diabolischen Ganoven in Filmen wie „Red Rock West“, „Waterworld“, „Speed“ oder „Land of the Dead“ waren furchtlose Maniacs, die irgendeine fehlgeleitete rebellische Obsession in Bann hielt. Trotz aller Widerwärtigkeit umgab sie ein Mysterium. Das war Hoppers große Kunst.

Allerdings war Hopper bei der Auswahl seiner insgesamt über 140 Rollen nicht zimperlich. „Ich habe in einigen wenigen Qualitätsfilmen mitspielen dürfen“, sagte er einmal, „der Rest ist Schrott.“ Das Mainstreamkino war ihm gleichgültig. Dafür veredelte er bemitleidenswert schlechte Horrorfilme wie „Texas Chainsaw Massacre 2“ mit eindrucksvoll hysterischen Auftritten. Allzu oft allerdings glaubte er, sich mit Comic-Charakteren aus der Affäre ziehen zu können. Und er tat gut daran. Immer, wenn er als Charakterdarsteller mit Figuren konfrontiert wurde, die viel mit ihm selbst und seiner Leidenschaft für Drogen, Kunst und schöne Frauen zu tun hatten, drohten sie ihn mitzureißen. Seine Auftritte als Trunkenbold und hilfloser Vater in „Rumble Fish“ oder auch als empfindsamer, schwitzender Kunsthändler in „Basquiat“ zeugen davon.

Hopper wollte Filmrollen so spielen, wie er es für richtig hielt

Geboren wird Dennis Hopper 1936 auf einer Farm in Dodge City, Kansas. Mit sechs wird ihm mitgeteilt, dass sein Vater im Krieg gefallen ist, in den die Amerikaner kurz zuvor eingetreten waren. Als Jay Millard Hopper 1945 plötzlich doch zurückkehrt, ist das für Hopper nicht weniger schockierend. Der Vater sei beim OSS gewesen, heißt es, dem Vorläufer des CIA. Nachdem die Familie nach San Diego übersiedelt, zieht Dennis als Schauspiel-Stipendiat schnell Aufmerksamkeit auf sich. Mit 19 spielt er in „Denn sie wissen nicht was sie tun“ das Mitglied einer Jugendgang an der Seite von James Dean, den er tief bewundert. Auch bei „Giganten“ steht er wieder mit Dean vor der Kamera. Den Unfalltod des nur wenige Jahre älteren Stars kann er lange nicht verwinden. Vor allem glaubt er, wie Dean Filmrollen so spielen zu dürfen, wie er es für richtig hält, was zu heftigen Spannungen mit Regisseuren führt. 1957 dauert ein Streit während der Dreharbeiten zu „Schieß zurück, Cowboy“ 15 Stunden, bevor Hopper nachgibt – und entlassen wird.

Danach wendet er sich, der eigentlich Maler hatte werden wollen, intensiv der Fotografie zu. Er geht nach New York und macht zahlreiche Porträts von Künstlerfreunden wie Warhol, Oldenburg, Rosenquist, Rauschenberg und Hockney. Jane Fonda steht ihm als Amor mit Pfeil und Bogen Modell. Die „Vogue“ und „Harper’s Bazaar“ drucken seine Bilder. Von Joan Baez nimmt er die schlammverkrusteten Füße auf, als sie am Civil Rights March von Martin Luther King teilnimmt. Er fühlt sich den Beatniks und Rockern verbunden, die sich mit ärmellosen Lederjacken und Tätowierungen vom Establishment abwenden. Und er fotografiert mexikanische Wanderarbeiter. „Da ich darauf wartete, meinen ersten Film zu drehen, ein Rollenangebot zu bekommen oder langsam durchzudrehen, hatte ich nichts besseres zu tun“, spielt Hopper später seine Ambitionen als Fotograf herunter. Obwohl nur bis 1967 als Fotograf aktiv, bringt Hopper zuletzt eine 546 Seiten starke Anthologie seiner Fotos heraus und nennt sie sein „Vermächtnis“.

Easy Rider als Höhepunkt des psychedelischen Kinos

Mit Brooke Hayward, Tochter eines wichtigen Hollywood-Produzenten und Hoppers erste von fünf Ehefrauen, kehrt er Mitte der Sechziger nach Los Angeles zurück. Wie viel in dem allenfalls geduldeten Nebendarsteller steckt, zeigt sich, als er und sein wohlhabender Freund Peter Fonda 400 000 Dollar zusammenkratzen, um „Easy Rider“ zu drehen. Der Film über zwei Hippies, die auf Motorrädern durchs land of the free reisen und schließlich von weißen Farmern abgeknallt werden, spielt über 50 Millionen Dollar ein. Und er bildete mit seinen verzerrten Kameraperspektiven und der aufpeitschenden Rockmusik (von Steppenwolf) den künstlerischen Höhepunkt des psychedelischen Kinos, das LSD-Erfahrungen ungefiltert in eine okkulte Bildsprache übersetzt. „Easy Rider“ begründet Hoppers kurze Karriere als Vorreiter des New Hollywood-Kinos. Von da an wurde auch Autorenfilmern wie Coppola, Martin Scorsese, Peter Bogdanovich und Michael Cimino, die sich nicht innerhalb des Studiosystems hochgearbeitet hatten, große Budgets zugestanden.

Hopper, der noch ein ganzes Jahr lang in der Wildlederkluft seiner Biker-Rolle durch die Gegend lief und immer mehr dem Drogenkonsum verfiel, bekam eine Million Dollar, um einen lang gehegten Traum zu verwirklichen: „The Last Movie“. Doch die Story über einen Stuntman, der sich in Peru vom Filmgeschäft zurückzieht, bekam nach der Fertigstellung 1971 nicht einmal einen Verleih. Hopper weigerte sich, Änderungen an seiner Schnittfassung vorzunehmen.

König der Nebenrollen

Viele Filme als Regisseur hat Hopper nicht gemacht. Aber jeder fasste seine Zeit in hypnotischen Bildern zusammen. Die Desillusion der Sechziger schlug 1971 in „The Last Movie“ durch. Zehn Jahre später lieferte er mit „Out of the Blue“ eine deprimierende Studie der No-Future-Generation, die – von Neil Youngs kraftvollem Titelsong befeuert – auf die Katastrophe zusteuert. In „Colors“ mit Robert Duvall und Sean Penn griff Hopper 1988 die Bandenkriege in Los Angeles auf, die er als Resultat einer vaterlosen Gesellschaft begriff. Im vergangenen Jahrzehnt wurde Hopper zunehmend als Maler und Fotograf wahrgenommen und mit Einzelausstellungen bedacht. Und doch bleibt er als König der Nebenrollen in Erinnerung. Hoppers Abstecher ins europäische Kino mit seinen Selbstbefragungen gaben dem verkrachten Hollywoodstar die Möglichkeit, sich mit seiner Maskenhaftigkeit auseinanderzusetzen. Wim Wenders zeigte ihn als melancholischen Gangster in „Der amerikanische Freund“. Auf einem Billardtisch liegend, schoss Hopper unablässig Polaroids von sich, bis sie um ihn herum alles bedeckten – wer bin ich?

Ja, wer war Dennis Hopper? Den Hollywood-Star in späteren Jahren zu treffen, bedeutete, einem Mann ohne Allüren zu begegnen, nachdenklich und zuvorkommend. Einsilbig konnte er von dem letzten Gemälde schwärmen, das er gemalt hatte. Er schien so gar nichts von dem egomanischen Exzentriker zu haben, als der er sich in „Blue Velvet“ präsentiert hatte. Über seinen Beruf sagte er: „Wenn man mit seinen Sinnen und einem emotionalen Gedächtnis arbeitet, sich Gefühle, Düfte und Klänge immer wieder in Erinnerung ruft, bringt einen das zwangsläufig an eine Grenze, weil die Nerven zu Saiten einer Violine werden.“

Bis auf Zigarren hatte er seinen Lastern abgeschworen. Ende September vergangenen Jahres wurde bei dem noch immer viel beschäftigten Schauspieler Prostatakrebs diagnostiziert. Die Ärzte gaben ihn auf, man musste fürchten, dass es schnell zu Ende gehen würde. Doch Hopper blieben ein paar Monate Zeit für den Rest, er reichte sogar noch seine Scheidung ein. Für diesen Berserker des Kinos, diesen selbsternannten Narren, gab es wohl immer eine Tasche, aus der er noch einen Trumpf zog. – Am Freitag ist Hopper im Alter von 74 Jahren in Venice bei Los Angeles gestorben.

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