zum Hauptinhalt

Kultur: Depot-Therapie

SOTTO VOCE Jörg Königsdorf wirft ein Licht auf verschattete Räusche Wir müssen einen Blick auf die Schattenseiten der Klassik-Welthauptstadt Berlin werfen. Denn obwohl es hier drei Opernhäuser und acht Orchester gibt, wird klassische Musik in Berlin keineswegs so gut gepflegt wie nirgends sonst.

SOTTO VOCE

Jörg Königsdorf wirft

ein Licht auf verschattete Räusche

Wir müssen einen Blick auf die Schattenseiten der Klassik-Welthauptstadt Berlin werfen. Denn obwohl es hier drei Opernhäuser und acht Orchester gibt, wird klassische Musik in Berlin keineswegs so gut gepflegt wie nirgends sonst. In mancher Hinsicht ist sogar das Gegenteil der Fall: Weil es hier so viele Opernhäuser und Orchester gibt, wird eben hauptsächlich die Musik gespielt, die für Opern und Orchester geschrieben ist – der Rest hat es schwer, sich gegen die Übermacht der Institutionen zu behaupten. Das gilt vor allem für alte und zeitgenössische Musik, die ganz andere Besetzungen und idealerweise oft auch ganz andere Räume braucht als eine Bruckner-Sinfonie oder ein „Tristan“. Was der Konzertalltag nicht leisten kann oder will, ersetzen bislang Festivals mit ihrer Depot-Therapie: Was bedeutet, dass die Musik ein, zwei Wochen lang in hohen Dosierungen eingenommen wird und dafür ein paar Monate lang nachwirken muss. Das Ultraschall-Festival etwa bietet bis zum 25. Januar so viel Neutönerei, dass einem die Ohren klingeln: Ein Doppelprogramm wie heute in den Sophiensälen um 19 Uhr das Pellegrini-Quartett mit Sciarrino, Hölszky und Xenakis, gefolgt von Chris Cutlers Schlagzeug-Elektronik-Opus „The great Divide“ muss man erst mal durchstehen!

Zu beobachten ist allerdings auch, dass die hohen Dosierungen zu Rauschzuständen führen: Die Betroffenen wollen partout jedes Konzert mitbekommen und müssen sich dann mit Erschöpfungserscheinungen krankschreiben lassen. Und dass, obwohl die Praxisgebühr fast genauso hoch ist wie der Eintrittspreis für Ultraschall-Konzerte.

-

Zur Startseite