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Kultur: Der Alchimist

"Oft bin ich eifersüchtig auf meinen Freund Richard Serra, weil er in seine wunderbaren, schlichten Formen keine Fenster einpassen muß." Der das sagt, entwirft selbst riesenhafte Skulpturen, die zugleich Häuser sind - der Architekt Frank O.

"Oft bin ich eifersüchtig auf meinen Freund Richard Serra, weil er in seine wunderbaren, schlichten Formen keine Fenster einpassen muß." Der das sagt, entwirft selbst riesenhafte Skulpturen, die zugleich Häuser sind - der Architekt Frank O.Gehry.Das wohl berühmteste Werk des siebzigjährigen Kaliforniers ist das im Oktober 1997 eröffnete Guggenheim-Museum in Bilbao.Nicht nur der spanische Kunsttempel mit seiner glänzenden Haut aus poliertem Titanstahl schwelgt in einer regelrechten Landschaft aus wogenden Formen (Gehry: "wie ein Wasserfall aus Stahl"), das bewegte Relief ist all seinen neueren Bauten eigen.

An der Humboldt-Universität sprach Gehry soeben im Rahmen der "Helmholtz-Vorlesungen" zum Thema "Raum".Auf das Leitthema ging er nicht explizit ein, doch zeugen seine neuesten Arbeiten beeindruckend von der Verselbstständigung der Dimension Raum im Bauen: Damit seine Architektur derart viele Wölbungen, Kurven und Kanten haben kann, verwandelt Gehry seine plastischen Skizzen zunächst in Modelle, deren Volumina mit dem Computer exakt vermessen werden - er ist sein wichtigster Mitarbeiter.Der Computer berechnet, ob die Entwürfe zu verwirklichen sind und liefert die Daten zum präzisen Zuschnitt der Bauteile.Unter den Hunderten von Stahlverbindungen für das Museum in Bilbao, berichtet Gehry stolz, waren nur zwei, die nicht auf Anhieb paßten.

Den entscheidenden Schritt zwischen Modell und baubarem Entwurf hat der Architekt damit aus der Hand in die Maschine verlagert.Dieser Aspekt - das Verhältnis zwischen Computer, gestalterischer Autonomie und Machbarkeit - hätte eine gedankliche Vertiefung gelohnt.Wohl aus Respekt vor dem prominenten Gast verzichteten die Organisatoren darauf, Gehry seinen Vortrag stärker auf das rahmengebende Thema hin zuspitzen zu lassen.So zeigte der Architekt Dias seiner jüngeren Projekte - und bot so doch noch spannenden Anschauungsunterricht zum Thema "Raum".

Gehry ist eine Art Alchimist der dritten Dimension.Die Wände seiner Werkstatt, ein unscheinbarer Zweckbau im kalifornischen Santa Monica, sind bedeckt mit allerlei plastischen Versatzstücken; Tische und Arbeitsbühnen sind beladen mit Modellen jedweder Größe, vom kleinen Tischmodell bis hin zu begehbaren Riesenmodellen im Maßstab 1 : 10.Allen Bauspektakels Anfang sind flüchtige Bleistiftskizzen.Aus ihnen generiert er grobe Modelle aus Holzklötzen und Gips, wilde Geröllhalden aus verbeulten Kuben, gewundenen Wölbungen und Ellipsen, die oft erst nach Wochen die Form von Gebäuden gewinnen.

Wer dazu neigt, Gehrys dekonstruktivistische Formschöpfungen für Effekthascherei zu halten, der konnte an diesem Abend erfahren, wieviel Zeit und Mühe solche Effekte kosten.Was leicht und verspielt daherkommt, ist das Ergebnis eines Prozesses, der große technische Präzision erfordert.Gehry hat nicht nur wuchernde Raumphantasien - er ist zugleich Handwerker genug, sie umzusetzen.

Ein neues Buch dokumentiert ein Gespräch Gehrys mit dem Architekturhistoriker Kurt W.Forster.- Cristina Bechtler (Hrsg.): Frank O.Gehry, Kurt W.Forster.Cantz-Verlag, Ostfildern 1999, 28 Mark.

FRANK PETER JÄGER

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