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Kultur: Der amerikanische Raum

Natur malen: Terrence Malicks betörende Pocahontas-Verfilmung „The New World“

Virginia, die Neue Welt, April 1607. An der Mündung des James River gehen drei englische Schiffe vor Anker. Sie landen in der Fremde, um sich das gelobte Land untertan zu machen. Unter den Kolonisten ist Captain John Smith (Colin Farrell), ein Aufrührer, aber guter Soldat. Deshalb wird er ausgesandt, um mit den zunächst neugierigen, dann immer begieriger werdenden Ureinwohnern in Kontakt zu treten. Dabei gerät er in Gefangenschaft, soll hingerichtet werden – und wird gerettet: Pocahontas (Q’Orianka Kilcher), die Häuptlingstochter, setzt sich für sein Leben ein. In letzter Minute. Die beiden verlieben sich. Doch die Liebe wird nicht halten, denn der König beordert Smith zurück nach England. Er soll weiter die Weltmeere ergründen. Pocahontas bleibt zurück. Und trauert. Bis ein anderer Engländer in ihrem Leben auftaucht.

Einen Film von Terrence Malick nachzuerzählen, sagt noch nichts darüber aus, was ihn im Innersten zusammenhält. Noch stärker als sonst streift Malick mit „The New World“ die Rolle des geradlinigen Geschichtenerzählers ab. Seine Handlung folgt nicht dem Weg, den die Filmhochschulen weisen, den die Fernsehsender fordern, den die Drehbuchanleitungen nahe legen. Seine Erzählweise ist überbordend und sprunghaft, mit Wiederholungen aufgebauscht und durch Ellipsen zerklüftet. Und wenn Malick kein Geschichtenerzähler ist, dann ist er erst recht keiner, der Geschichte nacherzählt. Deshalb wäre es Beckmesserei, von ihm historische Genauigkeit zu verlangen. Natürlich ist die Liebesgeschichte zwischen Pocahontas und Smith Arbeit am Mythos. Selbstverständlich war auch der Altersunterschied zwischen den beiden in Wirklichkeit viel größer. Aber Malick gibt gar nicht erst vor, Historiografie zu betreiben: Der Name Pocahontas fällt kein einziges Mal.

Was will Malick also? Zunächst einmal versucht er mit einem endlosen Fluss berückender Naturgemälde, den Zuschauer in Hypnose zu versetzen: mit Bildern des klammen, gleißenden, frostigen, blühenden, schlammigen, ungezähmten, erhabenen Landes; mit Bildern im wogenden Gras, im Meer, im tropfenden Wald; mit Bildern, die durch rhythmische Jump Cuts, Schwarzblenden und gleitende Kamerabewegungen einen latenten Rausch erzeugen. Ganz dicht heran rücken die Stimmen der inneren Monologe, der Reflexionen, der Gebete von Pocahontas, so nah, als flüsterten sie einem direkt ins Ohr. Ganz dicht heran drängt sich das Geräuschspektakel der Natur: das Vogelkreischen und Zikadenzirpen, die flirrende Stille, der tobende Wind.

Und dann, immer wieder, wie ein Refrain: Musik. Es tönen die Bläser von James Horner. Es dräut das Vorspiel zu Wagners „Rheingold“. Und es wiegt sanft der Orchester- und Klavierklang von Mozart. Mit einer betörenden Hartnäckigkeit wiederholt Malick das Adagio des 23. Klavierkonzerts, wie es vor ihm nur Bo Widerberg in „Elvira Madigan“ mit dem Andante des 21. Klavierkonzerts getan hat. Vor achtzig Jahren, als das Kino noch nach anderen Formen als dem Erzählkino suchte, gab Friedrich Wilhelm Murnau seinen Filmen Beinamen wie „Symphonie“ oder „Song“. „The New World“ ist eine hypnotisierende Sinfonie aus der neuen Welt.

Der Film ist aber gleichzeitig als großes, allegorisches Poem angelegt. Malick, wegen seiner extremen Öffentlichkeitsscheu so etwas wie der Thomas Pynchon des Kinos, schwingt sich auf zum Walt Whitman der Bilder. Sein Film ist das paradoxe Werk eines romantischen Utopisten, der um die Unerfüllbarkeit seines Traums weiß. Pocahontas, das ist bei ihm die Personifizierung der unbefleckten Schönheit des virgin land Virginia. John Smith, der wie eine Christus-Figur durch das Land streift, steht ein für die große Utopie. Er nennt das Indianermädchen „mein Amerika“. Er glaubt an die Vermählung von Mensch und Natur, von Emigranten und Eingeborenen. „Wir werden eine wahre Gemeinschaft errichten“, sagt er – eine Gemeinschaft frei von Faulheit, Gier und Egoismus. Wenn es nach Smith ginge, wäre das Aufeinandertreffen der Kulturen kein Kampf, sondern ein Umkreisen, Abtasten, Streicheln. Immer wieder gleiten die Hände von Smith und Pocahontas langsam über den Körper des anderen. Der gute Weiße und die noble Wilde – so weit wagt sich der Film ins Reich der gutgläubigen Stereotype.

Doch Malick ist kein Dummkopf, der ein blindes Zurück für möglich hielte. In seiner Vorstellung der neuen, der besseren Welt verbirgt sich eine stille Amerika-Kritik.

Über all den idyllischen Bildern liegt ausgebreitet der Schleier des Wissens: Smiths amerikanischer Traum wird nie in Erfüllung gehen. Irgendwann krachen die Kanonen, fliegen die Äxte, klaffen die Wunden. Malick blickt voll Wehmut zurück auf das Versprechen, das Amerika nie einlösen konnte. Deshalb muss auch hier, wie schon in „Badlands“ und „Days of Heaven“, die überirdische Liebe an der prosaischen Gesellschaft scheitern. Pocahontas kommt nach England, wo die Bäume getrimmt, die Tiere in Käfige gepfercht, die Menschen in Korsette und Rüstungen gezwängt sind. Auch wenn sie sich an der Seite von John Rolfe (Christian Bale) kurzzeitig glücklich wähnt – am Ende wird ihr Kontakt mit der Zivilisation tödlich sein.

Der erratischen schwarzen Tafel aus Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ gleich ruht „The New World“ wie ein Findling im amerikanischen Gegenwartskino. Wahrscheinlich muss man bis zu Murnaus „Tabu“ zurückgehen, um einen Film von ähnlicher Schönheit und Naivität, romantischer Utopiegläubigkeit und beinahe sentimentaler Sehnsucht zu finden. Natürlich sieht das Kino der Massen anders aus. Doch soll das ein Prüfstein für einen Visionär wie Malick sein? Mit „The New World“ ist er an eine Wegscheide gelangt, an der sich sein Publikum in ein paar glühende Bewunderer und viele Verächter teilen wird. Der Hypnotiseur, der Eremit, der Naturverehrer: ein filmischer Schamane. Terrence Malick ist endgültig Kult geworden.

Ab Donnerstag in zehn Berliner Kinozentren, OV im Cinestar Sony-Center

Julian Hanich

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