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Kultur: Der andere Göring

Eine Biografie enthüllt, dass Albert, Hermanns Bruder, ein Judenretter war.

Das Buch heißt „Hermanns Bruder“ und fragt im Untertitel „Wer war Albert Göring?“ Damit wäre die Antwort schon vorweggenommen, gäbe es nicht einen halben Zweifel: Denn womöglich war Albert Göring nur Hermann Görings Halbbruder – nämlich ein Sohn von Hermanns Paten und Freund der Familie, Hermann von Epenstein, dem eine Affäre mit der Mutter der beiden Göring-Brüder nachgesagt wurde.

Das unbewiesene und auch im vorliegenden Buch offen gelassene Gerücht ist besonders delikat, denn von Epenstein war der katholisch getaufte Sohn eines jüdischen Arztes am Hof König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen. Der junge Hermann Göring verehrte seinen Paten – und möglichen Vater seines Bruders – so glühend, dass er ihn in einem Schulaufsatz als seinen größten Helden bezeichnete. Zur Strafe ließ ihn sein Schuldirektor hundertmal den Satz schreiben: „Ich soll keine Aufsätze zur Verherrlichung von Juden schreiben.“ Hermann Göring hat sich fortan daran gehalten, auch wenn er als Hitlers Minister jüdische Schützlinge vor Verfolgung bewahrte und sogar großspurig erklärt haben soll: „Wer Jude ist, bestimme ich.“

Hermann Göring wusste denn auch, dass sein Bruder Albert aus politischer Überzeugung aktiv Hilfe für verfolgte Juden leistete. Für Albert war der „Führer“ seines Bruders ein „Mistkerl“, mit dem es „noch böse enden“ werde. Seinetwegen hatten sich die Brüder schon 1923 überworfen und zwölf Jahre lang kein Wort mehr gewechselt, bis sie in den 30er Jahren zu familiärem, aber niemals politischem Einvernehmen zurückfanden. Jeder in seiner Rolle: Hermann als Hitlers Minister, der den Bruder mehrfach vor Gestapo-Haft bewahrte, Albert als erfolgreicher Geschäftsmann in Österreich, der Freundinnen seiner Schwägerin Emmy zu Filmverträgen in Österreich verhalf. Sein prominentester Schützling war die Schauspielerin Henny Porten, die wegen ihres jüdischen Ehemanns keine Rollen in Hitlers Reich mehr erhielt.

Auf einer Liste von ihm geretteter Personen, die Albert 1945 während seiner Verhöre durch die US-Army anfertigte, steht ihr Name und der ihres Mannes an 26. Stelle unter 34 „Menschen, denen ich bei eigener Gefahr (dreimal Gestapo- Haftbefehl!) Leben oder Existenz rettete“. Andere bekannte Namen auf dieser Liste waren Angehörige des Schauspielers Hans Moser, des Komponisten Franz Lehár, der frühere österreichische Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg und Erzherzog Joseph Ferdinand. Seine Freilassung hatte sich Albert von seinem Bruder Hermann bei einem Familienfest der Görings 1938 erbeten, als der Minister jedem Familienmitglied großzügig einen Wunsch freistellte. In anderen Fällen fragte Albert seinen Bruder gar nicht erst um Hilfe, sondern bediente sich ungefragt des politischen Kredits auf den Namen Göring: Auf einem Briefbogen mit dem Familienwappen und seiner Unterschrift ohne Vornamen soll er von einem KZ-Kommandanten die Freilassung eines Häftlings verlangt und tatsächlich erwirkt haben. „Wenn das stimmt“, kommentiert sein englischer Biograf, „war Alberts Vorgehen geradezu genial.“

Mutig war es in jedem Fall, und das auch bei zahlreichen anderen, durch überlebende Zeugen beglaubigten Gelegenheiten. So solidarisierte er sich mit jüdischen Mitbürgern, die gezwungen wurden, auf den Knien Straßen zu schrubben, indem er sich unter den Augen der SS hinkniete und selbst zu schrubben begann. Der SS-Mann, der sich seinen Ausweis zeigen ließ, erstarrte prompt aus Ehrfurcht vor dem Namen Göring. Bei seiner letzten Verhaftung 1944 in Prag musste Hermann seinen Adjutanten General Bodenschatz losschicken, um seinen Bruder in Berlin außer Verfolgung zu setzen. Es sei, schärfte er ihm ein, das letzte Mal, dass er ihm helfen könne.

Als sich die Brüder 1945 vor dem Nürnberger Prozess noch einmal im Gefängnis begegneten, war es Hermann, der den Bruder bat, sich im Fall eines Todesurteils um seine Frau und Tochter zu kümmern. Dem Vernehmer bestätigte er, Albert sei „stets das genaue Gegenteil von mir“ gewesen und habe sich weder für Politik noch für Militär interessiert. „Aber er ist kein schlechter Kerl, dieser Albert.“

Wahrhaftig! Aber damit war nicht einmal Albert selbst geholfen, dem eine Odyssee durch alliierte Verhörzentren bevorstand und eine Auslieferung an ein tschechisches Gericht, das ihn nach einem Jahr wegen erwiesener Unschuld freisprach. Eine paradoxe Sippenhaft, die ihn noch bis in die junge Bundesrepublik verfolgte, als ihm nur wegen seines Namens eine Stelle als Ingenieur in einer Baufirma gekündigt wurde. Er starb, nach nur schwer überwundener Verbitterung, 1966 an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sein Biograf hat auch an seinem Grab auf dem Münchener Waldfriedhof gestanden, „um ihm meine Reverenz zu erweisen“. Denn „anders als für Oskar Schindler und Raoul Wallenberg wurde für ihn kein Baum in Yad Vashem gepflanzt. Es gibt kein Museum, das von seinen Taten erzählt.“ Aber jetzt ein Buch.









– William Hastings Burke:
Hermanns Bruder. Wer war Albert Göring? Aufbau Verlag, Berlin 2012. 237 Seiten, 19,99 Euro.

Hannes Schwenger

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